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Ein junger Student sieht seine Zukunft lieber in der EU als außerhalb – und macht Wahlkampf gegen den Brexit. Noch gilt es, viele Unentschlossene zu überzeugen.

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Kommunikationsberaterin Liz Aram gehörte lange zur Gruppe der Unentschlossenen.

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Liz Aram wird an diesem Donnerstag vor allem Erleichterung empfinden. Die EU-Debatte der vergangenen Monate hat sie belastet. Die Kommunikationsberaterin aus dem Südlondoner Stadtteil Wimbledon fühlte sich hin- und hergerissen zwischen "zwei sehr wichtigen Prinzipien": Einerseits empfindet sie sich als "leidenschaftliche Europäerin: Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern hat für mich große Bedeutung." Andererseits teilt sie die weitverbreitete Skepsis gegenüber der vermeintlich übermächtigen Brüsseler Bürokratie: "Regierungen sollten so nah an den Menschen sein wie möglich."

In Arams Fall kommt erschwerend hinzu: Während ihre hochbetagten Eltern durch die Straßen ziehen und Flugblätter für den EU-Verbleib verteilen, argumentieren ihr Mann Malcolm Green und der 18-jährige Sohn Adam leidenschaftlich für den Brexit. "Am Abendbrottisch musste ich mir dauernd anhören, wie ängstlich und erbärmlich die Sorge vor den negativen Brexit-Konsequenzen sei." Zu allem Überfluss fühlte sich die Engländerin bedrängt von proeuropäischen Freunden und deren höhnischen Kommentaren. "Das verstört mich. Man ist noch lang kein engstirniger Nationalist, wenn man Zweifel an Brüssel äußert. Es ist eine wirklich schwierige Entscheidung. Ich liege buchstäblich nachts wach."

Knappes Ergebnis

Unablässig haben beide Lager die Briten in den vergangenen Monaten mit mehr oder weniger guten Argumenten bombardiert. Dafür standen den Kontrahenten laut Wahlkommission Kriegskassen von insgesamt 35,7 Millionen Euro zur Verfügung. Und doch läuft alles auf ein denkbar knappes Ergebnis hinaus, bei dem die Gruppe der Zweifler à la Aram den Ausschlag geben könnte.

Die Verbleibe-Kampagne unterstreicht ihre Postwurfsendung am Dienstag explizit mit einer Umfrage: "41:41 Prozent, es kommt auf Ihre Stimme an!" Genauer gesagt: Es würden, sollte die Umfrage stimmen, die 18 Prozent der Unentschlossenen entscheiden. Bei näherem Hinsehen stellt sich die Befragung durch die Firma YouGov als veraltet heraus, zuletzt scheint das Häuflein der Unentschiedenen geschrumpft zu sein.

Früher wenig Interesse

In sozialen Medien wird seit Wochen ein Gefühl des Unwohlseins, ja des offenen Ärgers darüber formuliert, dass man überhaupt mit dem Thema belästigt wird. Die brillante Times-Kolumnistin Caitlin Moran verlieh diesem Gefühl schon im April Ausdruck. Bis zur Volksabstimmung habe sich "niemand wirklich für die EU interessiert", schrieb sie. Anstatt seine obsessiven EU-Feinde zu disziplinieren, habe Premier David Cameron die Entscheidung aufs Volk abgewälzt, "und das mitten in der schönsten Picknickzeit. Und jetzt müssen Millionen von Leuten Jean-Claude Juncker googeln, anstatt den Hund Gassi zu führen oder Sex zu haben."

Da ist sie wieder, die britische Art, schwerwiegenden Problemen instinktiv mit Humor zu begegnen. Wem danach nicht ist, der kann sich vielleicht an Labour-Chef Jeremy Corbyn orientieren. Der Linksaußen hat sich zu einer Art Galionsfigur der Zweifler entwickelt. Am Montagabend teilte er einem Publikum junger Leute beim TV-Sender Sky mit, er sei "kein Liebhaber der EU". Für den Verbleib werde er aber doch stimmen.

So ähnlich sieht es Liz Aram auch. Nachdem sie zwischendurch ihre Meinung geändert hat, soll nun doch der EU-Verbleib ihre Stimme bekommen – "in der Hoffnung auf weitere Reformen". (Sebastian Borger aus London, 22.6.2016)