Hannes Thor Halldorsson ist ein Mann vieler Talente.

Foto: afp/ksiazek

Hannes Thor Halldorsson schämt sich ein bisschen, wenn er seine Geschichte erzählt. "Es klingt blöd", sagt er, "aber das ist eine Story wie in einem dieser Sportfilme aus Hollywood." Der Goalie des isländischen Teams weiß, wovon er spricht: Bis vor zweieinhalb Jahren war er hauptberuflich Filmregisseur. Eine bessere Geschichte als seine eigene hätte sich Halldorsson nicht ausdenken können. Seine Fußballerkarriere war vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Erst im Alter von 29 Jahren unterschrieb er seinen ersten Profivertrag. Jetzt, mit 32, ist er mit Island bei der EM und spielt gegen Österreich um den Achtelfinaleinzug.

Als 14-Jähriger war Hannes Thor ein talentierter Torhüter. Dann verletzte er sich bei einem Snowboardunfall die Schulter. "Bis ich 19 war, habe ich praktisch keinen Fußball gespielt, weil meine linke Schulter ständig auskugelte." Mit 20 wurde er erstmals operiert. An echtes Training war in dieser Phase nicht zu denken. Eine Betonwand in einem Vorort von Reykjavík wurde sein "Partner", Halldorsson schoss sich die Bälle quasi selbst um die Ohren. Stundenlang.

2004 wird er von einem isländischen Viertligisten abgelehnt, ein Jahr später sitzt er bei einem Drittligisten stets auf der Tribüne – erst im letzten Spiel kommt er zum Einsatz -, und sein Patzer kostet das Team den Aufstieg. "Ich dachte, das war's! In meinen wildesten Träumen hätte ich nicht erhofft, dass ich einmal diesem historischen isländischen Team angehören werde."

Also wendet sich Halldorsson seinem zweiten Hobby zu: dem Filmemachen. Er arbeitet sich schnell nach oben, dreht Dokumentationen, Werbespots, Kurzfilme. Und nebenbei nimmt auch die Fußballkarriere wieder Fahrt auf. Halldorsson spielt in der zweiten, dann in der ersten Liga, wird Meister und Cupsieger in Island, 2011 debütiert er in der Nationalmannschaft. Ein Jahr darauf dreht er das Musikvideo für Islands Teilnehmer am Eurovision Song Contest und einen Spot für die Fluglinie, die Islands Kicker sponsert. Halldorsson ist Filmemacher und Hauptdarsteller in einer Person. "So etwas geht nur in Island."

2013, inzwischen Vater geworden, muss er sich zwischen beiden Karrieren entscheiden – und wählt den Fußball. Sein Arbeitgeber (Sagafilm) hat ihm versprochen, dass er jederzeit zurück in den Job kann. Das ist im Moment aber kein Thema.

Halldorsson, der derzeit beim norwegischen Erstligisten FK Bodö/Glimt spielt, will sein persönliches Märchen in Frankreich fortschreiben. "Dänemark hat 1992 gewonnen, Griechenland 2004", sagt er, "das hätte auch kein Mensch geglaubt." Seine Kamera hat Halldorsson in Frankreich dabei. (sid, red, 21.6. 2016)