Ob die Briten am Donnerstag für oder gegen die EU-Mitgliedschaft stimmen, ändert an einer wachsenden Macht unserer Zeit nichts: der nahezu unkontrollierten Aggression sogenannter "User" auf den Posting-Foren der sozialen Medien wie Facebook etc. Den Aufrufen folgt immer öfter die Tat, den Bekenntnissen die Realisierung – wie im Fall Orlando/Florida.
Die trotz massiver Kontrolle durch extra dafür engagierte "Forenwächter" (von populistischen Kräften als "Zensoren" denunziert) schaffen es nicht, Mordaufrufe zu verhindern oder die interne Kommunikation von Terrorismusgruppen zu zerstören. Man müsste, um im Jargon der Extremisten zu bleiben, Zensurfabriken errichten. Das ist unmöglich.
Das Alltagswerkzeug Internet, bald nach seiner Geburt als "neue Dimension der Freiheit" oder als "Demokratie-Instrument für alle" gepriesen, wird weiter ausgebaut. So weit, dass selbst amerikanische Netzgurus davor warnen, "Medien ohne Journalisten" könnten die Zukunft dominieren. Der Algorithmus werde wie in der Finanzwirtschaft auf den Börsen auch in den Medien die Reihung der Nachrichten auf den Webportalen übernehmen. Die Diktatur des Internets und seiner Betreiber wäre dann ein Faktum.
Was passiert, wenn die demokratische Kontrolle, wenn die Gewaltenteilung nicht mehr funktioniert, wird in Science-Fiction-Romanen und Filmen vorgeführt. Die Großstädte verkommen dort zu Kriegslandschaften. Ein Vorgefühl erleben wir jeweils dann, wenn ein Terroranschlag das Leben lahmlegt. Deshalb sind die Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen – wie es der österreichische Justizminister gerade in Verhandlungen mit Facebook tut. Es ist ausgeschlossen, dass sich international agierende Firmen wie die "social media" über die UN-Menschenrechte und nationale Gesetze hinwegsetzen.
Die Zeit nach dem 23. Juni, dem Abstimmungstag in Großbritannien, wird ohnehin zu einer Kraftprobe. Verlieren die Brexit-Anhänger, werden Radikale unter ihnen ihren Frust mit Gewalt zu bewältigen versuchen. Die Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Fox war ein Vorgeschmack möglicher Szenarien.
Verlieren die Befürworter der Mitgliedschaft, könnten sich EU-Gegner wie Marine Le Pen und H.-C. Strache ermuntert fühlen, den Zerfall der EU zu betreiben. Weitere Austrittsversuche wären vorprogrammiert. Dass sich in den USA ein rhetorisch besonders radikaler Populist wie Donald Trump anschickt, Hillary Clinton die Präsidentschaft streitig zu machen, steigert die Brisanz der momentanen Entwicklungen.
Der Spiegel hat Clinton auf dem Cover der jüngsten Ausgabe sogar "Die Mission" bei der "Bewahrung der Welt vor Donald Trump" zugemessen. Eine zu hohe Erwartung. Aber dahinter steht schon die Angst, dass aus einem "Krieg der Worte" ein Weltkrieg entstehen könnte, der nicht aus Luftangriffen, Bombardements und Eroberungen besteht, sondern aus Schlachten, wo Freund und Feind nicht mehr auseinanderzuhalten sind.
Im Kino kann man das schon besichtigen. (Gerfried Sperl, 19.6.2016)