Brüssel – Wegen einer "unmittelbaren Bedrohung" hat die belgische Polizei in einem groß angelegten Anti-Terror-Einsatz zahlreiche Wohnungen durchsucht. Bei mehreren Dutzend Einsätzen in 16 Städten wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft zwölf Verdächtige festgenommen. Terrorermittlungen hätten ein "sofortiges Eingreifen" erforderlich gemacht.

Drei der Verdächtigen wurden in Haft genommen. Den belgischen Staatsbürgern werde versuchter "terroristischer" Mord sowie die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, teilte die Staatsanwaltschaft am Samstagabend in Brüssel mit. Neun weitere festgenommene Verdächtige wurden nach Verhören wieder freigelassen.

Anschlag bei EM-Spiel

Einem Medienbericht zufolge wollten Attentäter während des EM-Spiels Belgien-Irland am Samstagnachmittag zuschlagen. Die Sicherheitsvorkehrungen für den belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel und andere Politiker wurden verschärft.

Die meisten Razzien fanden in der Nacht auf Samstag im Großraum Brüssel statt, unter anderem in den Gemeinden Molenbeek, Schaerbeek und Forest – die Viertel gelten als Hochburgen der belgischen Islamistenszene und stehen seit den Pariser Anschlägen im November und den Brüsseler Anschlägen im März unter verstärkter Beobachtung. In Molenbeek war unter anderem im März Salah Abdeslam gefasst worden. Zu dem Zeitpunkt gehörte der 26-Jährige im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris im November 2015 zu den meistgesuchten Terroristen in Europa. Weitere Razzien gab es unter anderem in Zaventem am Brüsseler Flughafen, in Fleurus unweit des zweitgrößten belgischen Flughafens Charleroi sowie in den im französischsprachigen Teil des Landes gelegenen Städten Tubize und Lüttich.

40 Verdächtige verhört

Die Einsätze verliefen nach Angaben der Staatsanwaltschaft ohne größere Zwischenfälle. Die Polizei verhörte 40 Verdächtige, zwölf von ihnen wurden in Gewahrsam genommen. Zur Identität der Verdächtigen machte die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Waffen oder Sprengstoff wurden bei den Razzien nicht gefunden.

Nach Angaben des Fernsehsenders VTM erhielten die Behörden einen Hinweis, dass während des EM-Spiels der belgischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Irland am Samstagnachmittag (15.00 Uhr MESZ) in Bordeaux Anschläge verübt werden sollten. Die Attentäter wollten demnach möglicherweise Fußballfans auf Fanmeilen in Belgien attackieren. Die Tageszeitung "De Standaard" berichtete, im Fokus der Verdächtigen sei etwa ein Fan-Areal in der Brüsseler Innenstadt gestanden. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Ministerpräsident Michel berief eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein. Wegen einer ebenfalls "unmittelbaren" Bedrohung waren erst am Freitag die Sicherheitsvorkehrungen für mehrere belgische Politiker verschärft worden, wie die Nachrichtenagentur AFP aus Regierungskreisen erfuhr. Darunter sind laut dem Rundfunksender RTBF und der Zeitung "Het Nieuwsblad" Michel, Außenminister Didier Reynders, Innenminister Jan Jambon und Justizminister Koen Geens. Einen Zusammenhang zu den nächtlichen Razzien bestand demnach aber nicht.

Bereits im Laufe der vergangenen Woche war die Anspannung in Belgien wieder gestiegen. Die Tageszeitung "La Derniere Heure" und andere Blätter berichteten, dass Jihadisten Syrien verlassen hätten, um in Belgien und Frankreich Attentate zu verüben. So sei beispielsweise ein Geschäftszentrum in der Brüsseler Innenstadt bedroht. Für die Berichte gab es keine offizielle Bestätigung.

Minister unter Schutz gestellt

Die in Belgien zuständige Stelle zur Bewertung der Terrorbedrohung (Ocam) ließ die Terrorwarnstufe im Land zunächst unverändert auf der zweithöchsten Stufe. Die Terrorwarnstufe 3 (von insgesamt 4) bedeutet, dass eine Terrorattacke möglich und wahrscheinlich ist. Einige Minister, darunter auch Premier Michel, wurden jedoch unter besonderen Schutz gestellt, wie der Sender RTBF berichtete.

Am Freitagabend hatte die belgische Staatsanwaltschaft die Festnahme eines achten Verdächtigen im Zusammenhang mit den Brüsseler Anschlägen vom 22. März bekanntgegeben. Gegen den 30-jährigen Belgier Youssef E. A. wurde Haftbefehl erlassen. Ihm werden "die Teilnahme an Aktivitäten einer Terrorgruppe, Mord sowie versuchter Mord in einem terroristischen Kontext als Täter, Mittäter oder Komplize" vorgeworfen.

Am 22. März hatten sich zunächst zwei Attentäter im Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft gesprengt. Knapp eine halbe Stunden später zündete ein Attentäter in einem U-Bahn-Waggon in der Station Maelbeek einen Sprengsatz und riss 16 Menschen mit in den Tod. Insgesamt wurden bei den beiden Anschlägen in der belgischen Hauptstadt 32 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. (APA, 18.6.2016)