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Lam Wing-kee, Buchhändler aus Hongkong, wirft Chinas Behörden Entführung vor. Damit, dass er an die Presse gehen würde, hatte Peking offenbar nicht gerechnet.

Foto: Reuters / Bobby Yip

Lam Wing-kee wollte, wie schon oft, seine Freundin im nahen chinesischen Dongguan besuchen. Doch dann kam alles anders. Der Hongkonger Buchhändler wurde am 24. Oktober 2015 bei der Einreise von Hongkong nach Shenzhen gestoppt. Passkontrolleure winkten ihn beiseite. Im Nebenraum wartete eine Gruppe Beamter auf den Manager der Buchhandlung "Causeway Bay Books", die auf kritische Publikationen über die Pekinger Führung spezialisiert ist. Sie fuhren Lam im Polizeivan in ein Haftzentrum.

Damit begann sein achtmonatiges "Verschwinden", das weltweit zunächst Sorge und dann Proteste auslöste. Vier seiner Kollegen verschwanden genauso. Alle arbeiteten sie für die Buchhandlung und für das mit ihr verbundene Verlagshaus "Mighty Current". Bis auf einen sind alle inzwischen aus China nach Hongkong zurückgekommen, ohne zu sagen, was ihnen passierte. Außer Lam, der am Dienstag zurückkehrte. Als Einziger trat er vor die Presse und enthüllte den Skandal. Er sei, sagte er, in die Hände von Chinas politischer Polizei gefallen und verschleppt worden.

Hongkong gilt nach seiner Rückkehr 1997 in die Volksrepublik als ein sich selbst regierendes Sonderverwaltungsgebiet. China versprach, dass es 50 Jahre lang nach dem Prinzip "ein Land mit zwei Systemen" seine Freiheitsrechte und sein kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beibehalten darf. Weder die Justiz der Volksrepublik noch ihre Polizei würden dort exekutive Eingriffsrechte haben. Doch Hongkonger Verleger und Händler von in Peking verbotenen Büchern sind nun die Ersten, die Opfer neuer Willkür werden.

Lam war nach laut seiner Schilderung, die die South China Morning Post wiedergab, in der ersten Nacht bei der Polizei am nächsten Morgen "in Handschellen, mit verbundenen Augen und über den Kopf gezogener Kappe" mit der Bahn in die Hafenstadt Ningbo gebracht worden. Fünf Monate hielten ihn dort seine Verhörer in einer Zelle fest, ohne Zugang zu Anwälten und Familie.

"Alles war inszeniert"

Dann wurde er zwei Monate nach Shaoguan in Südchina gebracht. Zwischendrin zwangen sie ihn zu einem Geständnis im Fernsehinterview mit dem Peking nahe stehenden Hongkonger Phönix-TV. Es war inszeniert vom "Regisseur bis zum Drehbuch."

Lam wurde vorgeworfen, von 2013 bis 2015 tausende chinakritische Publikationen seiner Buchhandlung an Kunden in der Volksrepublik versandt zu haben, darunter auch Pamphlete über die Intrigen und das Privatleben chinesischer Führer. Sie liegen an vielen Straßenecken Hongkongs auf, sind in der Volksrepublik aber verboten. Peking will das Eindringen solche Bücher stoppen.

Chinas Polizei erlaubte Lam am Dienstag, nach Hongkong zurückzukehren. Sie glaubten, ihn unter ihrer Kontrolle zu haben, so wie die drei anderen Buchhändler, die zurückkehrten und stillhielten. Lam sollte, laut eigener Aussage, seine chinesische Kundendatei der Polizei übergeben. Doch Lam ging an die Öffentlichkeit.

Von jenen fünf Buchhändlern, deren Verschwinden bisher bekannt ist, ist nur noch der 51-jährige Gui Minhai in Polizeihand. Er verschwand im Oktober 2015 aus seinem Haus in Thailand. Monate später tauchte er als reuiger Sünder in den TV-Nachrichten auf. Er sei freiwillig über die Grenze gegangen, um sich den Behörden aus Gewissensbissen zu stellen. 2003 habe er einen tödlichen Verkehrsunfall in China verursacht und wollte nun büßen. Peking weist Proteste im Zusammenhang mit den Buchhändlern als "Unterstellungen" zurück. (Johnny Erling aus Peking, 17.6.2016)