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1971 gehörte der Vibrator schon zum Verkaufshit jeder Sexmesse. Erfunden wurde er schon viel frühe, nämlich 1883 – und aus reinem Pragmatismus.

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Nansen & Piccard, "Zehntausend Jahre Sex". € 19,95 / 208 S. Ecowin-Verlag.

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Die Ägypter und der erste Porno, 1150 v. Chr.

Die junge Frau stützt sich auf ein grünes Kissen. Sie möchte es bequem haben, während ihr Liebhaber sie von hinten nimmt. Der Mann zieht am Zopf ihrer Perücke, sie wendet sich um, blickt ihm tief in die Augen und lächelt. Auf dem sogenannten "Papyrus von Turin", der so heißt, weil er im Museo Egizio der norditalienischen Stadt aufbewahrt wird, sind außerdem kleinwüchsige, glatzköpfige Männer mit riesigen, erigierten Penissen abgebildet, die Frauen im Stehen penetrieren oder ihnen Amphoren in die Vagina schieben. Auf einem Bild flüstert eine Frau: "Komm schon, stell dich hinter mich. Ich bereite dir Vergnügen, solange dein Phallus bei mir ist." Wer den Papyrus studiert, der 1150 vor Christus in Theben von einem unbekannten Autor gezeichnet wurde, stellt fest, dass man im Reich von Ramses IV. bereits Rollenspiele, Sexspielzeuge und Bordelle kannte. Das erste Sexheftchen der Geschichte – es ist allerdings unklar, ob es sich dabei um Pornografie, Satire oder ein Dokument für den Sexualkundeunterricht handelt.

Während ein moderner Porno gerade durch seine Eindeutigkeit besticht und nur zeigt, was passiert, muss man den Papyrus von Turin decodieren. Vor der Frau auf dem Streitwagen sitzt zum Beispiel ein Affe, der kein Statist ist, sondern die erotische Bedeutung der Szene noch betont. Denn Affen waren in Ägypten das Symbol der weiblichen Sexualität. Warum, weiß man heute nicht mehr – aber was ist Sex schon ohne Geheimnisse?

Der erste Bikini, 400 v. Chr.

Die "Bikini-Mädchen", wie Archäologen sie nennen, sind in der Villa Romana del Casale im sizilianischen Bergstädtchen Piazza Armerina auf einem Fußbodenmosaik zu sehen. Die Frauen sehen aus, als seien sie einem modernen Crossfit-Video entsprungen: Sie tragen knappe Höschen und trägerlose BHs.

Die engen Shorts auf dem Mosaik geben ein Rätsel auf. Im Alltag trugen die Frauen damals nämlich lange Kleider. Unterwäsche war nicht üblich. An einigen Ausgrabungsstätten wurden jedoch Frauenslips aus Leder gefunden, die über verstellbare Bänder an den Seiten verfügten und mit farbigen Stoffen verziert wurden. Es gibt zwei Theorien über die Funktion der antiken Bikinis (der Name wurde erst 1946 von dem französischen Designer Louis Réard eingeführt). Entweder das Sport-Strophium und der Slip dienten tatsächlich als Fitnessgarderobe, weil man darin große Bewegungsfreiheit hatte. Das Bodenmosaik könnte also eine Art kleinteiliger Fitness-Ratgeber gewesen sein, der die Damen des Hauses zu regelmäßigen Sporteinheiten animieren sollte und ihnen darüber hinaus noch die richtige Haltung beim Diskuswurf demonstrierte. Eine andere Theorie besagt, dass die Bikini-Mädchen eigentlich Erotik-Entertainerinnen waren und eine Revue aufführten. Was auch immer der Modedesigner im Sinn hatte, der mehr als 1600 Jahre vor Louis Réard den Bikini erfand: Er – oder sie? – war auf jeden Fall ein Fan des weiblichen Körpers.

Die Transgender-Pionierin, 1721 n. Chr.

Catharina Margaretha Linck wurde im späten 17. Jahrhundert und im falschen Körper geboren. Als sie mit 15 Jahren ihre Heimatstadt Glaucha bei Halle verließ, trug sie Männerkleider, um sich auf der Wanderung vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Hemd, Hose und Pagenschnitt; um ihre Brüste zu verbergen, wickelte sie ein Leinentuch straff um den Oberkörper. Aber Catharina verkleidete sich nicht – sie war zum ersten Mal ganz sie selbst. Sie taufte sich auf den Namen Anastasius Lagarantinus Rosenstengel (Anastasius heißt "der Auferstandene"), ergriff mit 18 den männlichsten aller Berufe und verdingte sich als Söldner. So kam sie in Kontakt mit den leichten "Mädgens", die den Armeen folgten. Kam es zum Sex, band Rosenstengel sich einen Lederpenis um, der mit zwei Lederhoden ausgestattet war und sich offenbar ziemlich gefühlsecht anfühlte, da keine der Sexpartnerinnen den Schwindel je bemerkt hat. Mit 30 heiratete er die deutlich jüngere Catharina Margaretha Mühlhahn aus Halberstadt. Enttarnt wurde er erst, als bei einem Handgemenge mit seiner Schwiegermutter der Lederdildo entdeckt wurde. Die Transgender-Pionierin wurde wegen Unzucht mit einer anderen Frau angeklagt und zum Tode verurteilt. Bei seiner Hinrichtung musste er Frauenkleider tragen.

Die Erfindung des Vibrators, 1883 n. Chr.

Es ist nicht bekannt, wie viele Frauen Joseph Mortimer Granville in seiner Karriere zum Orgasmus gebracht hat: Der englische Arzt und Erfinder brachte in seiner Praxis in London reihenweise Patientinnen per Vaginalmassage zum Höhepunkt – aber nicht aus reinem Privatvergnügen, sondern weil er es gut mit den Damen meinte. Im dritten Jahrhundert vor Christus beschrieb Hippokrates die Krankheit "Hysterie", die angeblich nur Frauen befiel und deren Symptome von Melancholie bis hin zu Schwachsinn und Nymphomanie reichten. Von der Antike bis zur Renaissance lösten Gelehrte dieses diffuse Leiden, indem sie die Frauen zum Orgasmus brachten. Die Ärzte suchten, getrieben von männlichem Pragmatismus und Faulheit, nach technischen Lösungen, um mehr Frauen in kürzerer Zeit behandeln zu können (Granville hatten die vielen Vaginalmassagen eine chronische Sehnenscheidenentzündung beschert). 1883 entwickelte er eine Art Bohrmaschine mit Zink-Kohle-Batterien-Antrieb. Sie war etwa 15 Zentimeter lang und hatte eine Kugel an der Spitze, die auf Knopfdruck anfing zu ruckeln. Voilà: der erste strombetriebene Vibrator der Welt. Die Öffentlichkeit feierte das Instrument unter dem Namen "Granvilles Hammer".

Die Tinder-Revolution, 2014 n. Chr.

Im Frühjahr 2014 trennte sich die Sängerin Katy Perry von ihrem damaligen Freund, dem Rockstar John Mayer. Ihren Liebeskummer bekämpfte die 29-Jährige, wie das 29-Jährige im frühen 21. Jahrhundert eben taten. Sie lud die Dating-App Tinder auf ihr Smartphone, eine Art Liebesradarschirm, auf dem einem beziehungswillige Menschen in der Umgebung angezeigt werden. Tinder und andere Emo-Apps wie Lovoo oder Badoo gewannen binnen weniger Monaten viele Millionen Nutzer und veränderten die Art und Weise, wie gelebt und geliebt wurde. Das Prinzip war einfach: Die App ortete Singles, die sich in der Nähe aufhalten, und präsentierte ein sehr reduziertes Profil, in dem nur Name, einige persönliche Informationen und sechs Fotos angezeigt werden: Dann wischte man mit dem Daumen entweder zum grünen Herzen (rechts) oder zum roten Kreuz (links). Entschieden sich beide Nutzer unabhängig voneinander für das Herz, wurde die Chatfunktion zwischen ihnen freigeschaltet: "It's a match!"

Wie alle Revolutionen brachte auch die Tinder-Bewegung das Establishment auf die Barrikaden. Statt mit dem Daumen zu wischen, erhoben Zweifler den Zeigefinger und schimpften: Die App sei zu schnell, zu oberflächlich. In Wahrheit aber zeigt Tinder weder Diplome noch Kontostand an und nimmt den Menschen so die emotionalen Scheuklappen ab. Die Liebes-App Tinder steht für eine Renaissance der Romantik. (Tobias Moorstedt, Jakob Schrenk, Album, 18.6.2016)