Graz will sich in den nächsten Jahren in eine "Smart City verwandeln".

Visualisierung: Nussmüller Architekten

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Auffälliges Wohnen demnächst im Grazer Westen: das "Projekt Eggenberge" mit gebirgsähnlicher Dachsilhouette.

Visualisierung: Pentaplan ZT

Am Grillweg, auf dem ehemaligen Euroshopping-Gelände, entsteht ein "Grüner Wohnhof" mit rund 400 Wohnungen.

Visualisierung: Luftbild-Zechner

Der Science-Tower ist der "Leuchtturm" der Smart City.

Visualisierung: Pernthaler

Hadid-Haus mit nach außen gewölbten "Glupschaugen".

Visualisierung: freeDIMENSIONS

Gemessen an der Anzahl der Baukräne, die im Stadtgebiet so herumstehen, dürfte es dem Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl mental momentan recht gut gehen. Er fühle sich, sagte Nagl vor einiger Zeit, "als Bürgermeister nur dann wohl, wenn ich mehrere Kräne über Graz sehe. Ich jogge auch immer wieder auf den Schlossberg, um sicherzustellen, dass auch genügend davon aufgestellt sind. Baustellen sind für mich ein Indiz dafür, dass Entwicklung stattfindet."

In den letzten Monaten hatte Nagl jedenfalls genügend Gelegenheiten, um von einer Baustelle, von einer Gleichenfeier zur nächsten zu pendeln.

Die steirische Landeshauptstadt wird gerade umgebaut. Neue Stadtviertel entstehen, darunter einige durchaus städtebauliche Vorzeigeprojekte, ein mächtiges Straßenbauvorhaben soll den Verkehr im Süden entflechten, in der Altstadt sorgt neue Architektur für einigen Gesprächsstoff.

Licht und Schatten

In Summe wird sich jedenfalls das Gesicht der Stadt in den nächsten Monaten und Jahren deutlich verändern. Wo viel Licht, ist naturgemäß auch Schatten: Kritiker meinen, es herrsche beim Großteil der Bauprojekte mehr Kommerz vor als neues Denken in der Architektur. Einig ist man sich: Graz muss baulich rasch auf den großen Zuzug neuer Stadtbewohnern reagieren, nicht nur mit dem Bau tausender Wohnungen, sondern auch mit entsprechender Infrastruktur.

Die Landeshauptstadt wächst pro Jahr um 5000 neue Bewohner, 312.000 Menschen sind derzeit in der Stadt gemeldet, davon 287.000 mit Hauptwohnsitz. Vor vier Jahren waren es noch um 20.000 weniger.

Der langfristige Trend zeigt wie in allen Landeshauptstädten einen weiteren stetigen Bevölkerungszuwachs – auch in den Umlandgemeinden. Die aktuellen Prognosen sehen bis 2050 einen Einwohneranstieg im Raum Graz auf knapp 500.000 Bewohner voraus.

Neues Image

Die Stadt muss nicht nur am Wohnungssektor einen Zahn zulegen, die Stadtpolitik will das Momentum nutzen, um sich auch ein neues Image zu verpassen. Graz als Feinstaub-Hochburg soll sich langsam in eine "Smart City" mit der Vision einer letztlich "Zero Emission City" wandeln. Die städtisch benötigte Gesamtenergie soll später zu hundert Prozent regional und aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden. "Smart City" gilt als Synonym für eine energieeffiziente, ressourcenschonende und emissionsarme Stadt, in der neueste Energietechnologien erprobt und angewendet werden sollen.

Westlich des Grazer Hauptbahnhofes rund um die Waagner-Biro-Straße entsteht nun der erste "Smart City"-Stadtteil. Im Zentrum wird der "Science Tower" platziert, ein Gebäude, bei dem in der Fassade applizierte transparente Energiegläser ("Grätzel-Zellen") auch Strom liefern. Im Turm soll überdies Strom gespeichert werden. Die Brutto-Geschoßfläche beträgt 4600 Quadratmeter, das Investitionsvolumen rund 16 Millionen Euro. In diesen Tagen wurde zur Gleichenfeier für den, wie es heißt, "Leuchtturm" der Smart City Graz geladen.

Konkrete bauliche Formen hat mittlerweile auch das städtebauliche Großprojekt "Reininghaus" angenommen. Hier auf dem alten Industrieareal wird ein neuer westlicher Stadtteil entstehen.

Markanter Turm

Die Größe jenes Gebietes, das dabei von der Erber-Unternehmensgruppe entwickelt wird, umfasst rund 14.000 Quadratmeter. Das Investitionsvorhaben umschließt neben Neubauten auch die Erhaltung, Umgestaltung und Neunutzung zahlreicher Bestandsgebäude.

Auch hier weist ein markanter Turm auf das neue Stadtareal hin: der sogenannte "Greentower". Das 19-stöckige Gebäude ist nicht nur das erste neue Bauwerk, das im künftigen Stadtteil Graz-Reininghaus entsteht, es ist auch Österreichs erstes vollständig begrüntes Hochhaus.

Dieser "Greentower" ist als vertikale Fortsetzung des angrenzenden "Reininghaus-Parks" gedacht. Im Tower werden die ersten vier Geschoße für Handel, Gewerbe und Büros konzipiert, in den Geschoßen fünf bis 19 werden Wohneinheiten eingezogen.

Neue Stadteinfahrt

Ein erstes Dokument der künftigen baulichen Neuakzentuierung der steirischen Landeshauptstadt wird bereits bei der Einfahrt ins Stadtgebiet sichtbar werden. Neben dem ebenfalls im Um- und Ausbau stehenden Fußballstadion (jetzt "Merkur Arena") entsteht vis-à-vis der großflächige Baukomplex "Citygate" – wiederum ein Baumix für Wohnen, Büro und Freizeit.

Einige Fahrminuten weiter stadteinwärts, direkt im Areal um die Stadthalle – ein Projekt des Doyens der Grazer Architektur, Klaus Kada – und dem neuen gläsernen Styria-Flaggschiff, baut die Merkur-Versicherung ihre Headquarters, optisch angelehnt an die Formensprache der Styria und der Stadthalle.

Direkt in der City angelangt, unweit der Grazer Oper, wird noch in diesem Jahr das Zaha-Hadid-Haus, mit nach außen gewölbten "Bubble-Fenstern", fertig gestellt. Das Objekt bringt architektonische Spannung und wohl auch wieder einige aufgeregte Diskussionen in die Altstadt. Untergebracht werden Eckhaus-Appartments im hohen Preissegment, darunter entstehen Büroflächen. Im Erdgeschoß wird die Gastronomie einziehen.

Kritik der Architekten

Was den Bürgermeister in euphorische Stimmung bringt, sieht die Grazer Architekturszene durchaus differenzierter und kritischer. Man trauert den goldenen Zeiten, der Innovationskraft der Grazer Schule der Architektur nach.

Klaus Kada diagnostiziert, die Architektur in Graz werde "immer pragmatischer und empathieloser". Graz habe "den Rang als Architekturhauptstadt an Innsbruck und Linz verloren und muss sich anstrengen, die Qualität von früher wiederzuerlangen". Die Generation junger Architekten mache aber wieder Mut.

Künstliche Blase

Architekt Burkhard Schelischansky vom Büro Südost sieht die rege Bautätigkeit vor allem als Folge der demografischen Entwicklung: "Graz, Graz-Umgebung bis Leibnitz haben einen hohen Zuzug, der einen Druck erzeugt, deswegen wird gebaut." Es deute aber auch einiges darauf hin, dass der Bedarf an Wohnraum künstlich, durch eine Blase, verstärkt werde. Es sei einfach viel Geld am Markt, das investiert werden müsse. Wohnungen seien zum reinen Investmentprodukt geworden. Auf dem Anleger-Wohnungsmarkt gehe es aus diesen Gründen ums Geld und nicht mehr um Qualität.

"Ein Indiz dafür ist, dass sehr kleine Wohnungen in schlechter Lage gebaut werden. Auch Büroflächen werden zurzeit in Wohnungen umgebaut. Die frei finanzierten Wohnungen sind auf für Graz sehr hohem Preisniveau", sagt Schelischansky.

Traum vom Aufbruchsgeist

Christian Andexer vom Büro Andexer-Moosbrugger wiederum registriert, dass sich in der Grazer Altstadt in den letzten Jahren ein Eigentümerwechsel vollzogen habe. "Die Immobiliengesellschaften kaufen alles auf", das treibe die Preise in die Höhe, da nur wenige Häuser am Markt sind. Momentan herrsche "in der Altstadtkommission eine konservative Linie vor, und es ist kein richtiger roter Faden zu erkennen".

Aber generell: In der Architekturszene träumt man nach wie vor von einer Renaissance des Aufbruchsgeistes der Grazer Schule der Architektur, die der Landeshauptstadt internationales Renommee eingebracht hatte. Nun aber gehe Kommerz vor architektonischer Innovation und Kreativität. Mit wenigen Ausnahmen. (Walter Müller, 18.6.2016)