Von ihrer Selbstwirksamkeit Überzeugte glauben an sich und gehen in dem beruhigenden und stabilisierenden Gefühl davon aus, dank des eigenen Könnens und der eigenen Zielstrebigkeit leistungsfähig zu sein und die Kontrolle über das eigene Tun zu haben.

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Psychologie-Professor Erich Kirchler: Wenn aus der Überzeugung von Selbstwirksamkeit eine Selbstüberschätzung wird, entsteht daraus "nichts Gutes".

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STANDARD: Selbstwirksamkeitserwartung – wofür steht dieser Begriff?

Kirchler: Für die Überzeugung, ein Ziel durch eigene Anstrengung und beherzten Einsatz erreichen zu können. Von ihrer Selbstwirksamkeit Überzeugte glauben an sich und gehen in dem beruhigenden und stabilisierenden Gefühl davon aus, dank des eigenen Könnens und der eigenen Zielstrebigkeit leistungsfähig zu sein und die Kontrolle über das eigene Tun zu haben. Kurzum also, selbstverantwortlich eine Handlung auf ein Ziel hin gerichtet erfolgreich durchführen zu können.

Was die Selbstwirksamkeitserwartung auch charakterisiert, ist das erfahrungsbestätigte Wissen, dem Geschehen nicht irgendwie unkontrolliert ausgeliefert zu sein, sondern die Dinge in der Hand zu haben, sie steuern und kontrollieren zu können und über die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verfügen, um vorgegebene oder selbstgesteckte Ziele zu erreichen. Entscheidend daran ist, Erfolge nicht auf Glück und/oder Zufall zurückzuführen, sondern auf die eigene Leistungsfähigkeit.

STANDARD: Was bewirkt diese Überzeugung in einem Menschen?

Kirchler: Empfindet sich jemand als selbstwirksam, dann setzt sich diese Person höhere, aber – wohlgemerkt – erreichbare Ziele und geht ganz selbstverständlich davon aus, diese Ziele auch in Wirklichkeit verwandeln zu können. Maßgebliche Antriebskraft sich als selbstwirksam empfindender Menschen – und dadurch unterscheiden sie sich von weniger von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugten Personen – ist ihre höhere Motivation, die ihnen aus der Erfahrung zuwächst, tatsächlich stabil leistungsfähig zu sein, also nicht von Glück, Zufällen oder der Gunst der Stunde abhängig zu sein.

Hinzu kommt: Ihre Ausdauer steigt bei der Bewältigung von Aufgaben und der Zielverfolgung; ihre mit der Aufgabenerledigung verbundenen Gefühle sind positiv, sie empfinden Selbstsicherheit, Freude, Stolz und nicht Stress, Angst, Kontrollverlust.

STANDARD: Gibt es Zusammenhänge mit der Gesundheit?

Kirchler: Vieles deutet darauf hin. Beispielsweise wird eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung mit niedrigen Stressreaktionen, schneller Bewältigung von kritischen Lebensereignissen, seltener auftretenden Angststörungen und Depressionen, hoher Schmerztoleranz sowie einem besseren Immunsystem in Zusammenhang gebracht. Desgleichen mit guter schulischer und beruflicher Leistung. Auch scheint eine solide Selbstwirksamkeitserwartung Auswirkung auf zufriedenstellende Sozialbeziehungen und überhaupt auf ein hohes Wohlbefinden zu haben.

STANDARD: Was passiert, wenn die Selbstwirksamkeitserwartung in die Selbstüberschätzung umschlägt?

Kirchler: Nichts Gutes! Die übersteigerte Selbstwirksamkeitserwartung kann zu einer Kontrollillusion führen, die beispielsweise auf Finanzmärkten zu erhöhter Risikobereitschaft führt oder den sogenannten "Sunk cost"-Effekt verstärkt, wo gutes Geld dem schlechten nachgeworfen wird, wenn zum Beispiel Investitionen in ein Verlustprojekt gesteckt werden, das längst hätte gestoppt werden müssen, um weitere Verluste zu vermeiden. Weitere unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten heikle Effekte der Kontrollillusion sind die Selbstüberschätzung eines Entscheiders ("over-confidence") oder die mangelhafte objektive Selbsteinschätzung ("better than average"). Nicht zuletzt kann die übersteigerte Selbstwirksamkeitserwartung auch dazu führen, Fehlerursachen nicht auch bei sich selbst zu suchen.

STANDARD: Wie entsteht und entwickelt sich die Selbstwirksamkeitserwartung?

Kirchler: Zum einen spielen dabei frühkindliche erfolgreiche Lernprozesse und ermutigende Erfahrungen während des gesamten Lebens eine Rolle: Ich kann was, und ich kann etwas auch gegen widrige Umstände bewältigen. Das führt dazu, dass Erfolg als eigenes Leistungsergebnis erlebt und registriert wird. Bekanntlich macht ja nichts erfolgreicher als Erfolgserlebnisse. Zum anderen spielt das Lernen am Modell eine Rolle: Vergleichbare Personen, die sich beherzt etwas höher gesteckte Ziele setzen und die zur Zielerreichung notwendige Leistung erbringen, werden als nachahmenswerte Modelle, als Vorbilder gesehen.

Und zum Dritten ist es bedeutsam, dass eine erbrachte Leistung anerkannt und gewürdigt wird. Feedback – auf die erbrachte Leistung bezogenes Lob ebenso wie sachliche Kritik – fördert die Selbstwirksamkeitserwartung. Und viertens wirken natürlich auch Emotionen auf das "Wachstum" der Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Freude an der Arbeit, Vorfreude auf eine neue Aufgabe, Stolz auf bisher Geleistetes fördern es, Stress, Angst, Selbstzweifel und vorweggenommene Versagensängste unterminieren es.

STANDARD: Was sollten Vorgesetzte daraus schließen?

Kirchler: Dass sie wichtige "Bauarbeiter" an der Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung ihrer Leute sind. In Zielvereinbarungen und Mitarbeitergesprächen kann die Selbstwirksamkeit durch konkretes, arbeitsbezogenes sachliches Feedback gefördert werden. Sie sollten Leistungen und Leistungsursachen der Mitarbeiter ansprechen, sie sollten ihnen Leistung zutrauen und dementsprechende konkrete Leistungsziele setzen.

Aber unbedingt auch Fehler zulassen und genauso unbedingt deren Ursachen sachlich mit ihnen analysieren und erkannte Verbesserungsmöglichkeiten mit ihnen besprechen. Und sie sollten sich klarmachen, dass in die Selbstwirksamkeitserwartung auch das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung hineinspielt. Wie werden Mitarbeiter wahrgenommen? Je nachdem, ob Führungskräfte ihnen Erfolg zutrauen oder nicht, wird Erfolg als selbstgemacht und stabilisierend oder als Glückssache angesehen. Mit den entsprechenden positiven oder negativen Auswirkungen.

STANDARD: Die Bemerkung "Sie schaffen das schon!" wird gerne zwecks vermeintlicher Stärkung eingesetzt. Was halten Sie von diesem Satz?

Kirchler: Ich rate von dieser Äußerung ab. Um Mitarbeiter wirklich zu fördern und zu entwickeln, dazu taugt sie nicht. Dazu braucht es gezieltes, konkretes, arbeitsschrittbezogenes Feedback. Für die Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung ist es unerlässlich, Misserfolge als Lernanstöße anzusehen und sie unter Entwicklungsgesichtspunkten und nicht lediglich als Versagen anzusprechen. In einer guten Fehlerkultur wird im Verbund mit dem Vorgesetzten aus eigenen Fehlern und Fehlern anderer gelernt. Fehler und Lernen sollten in den Köpfen der Führungskräfte wie ihrer Mitarbeiter zwei Begriffe sein, die automatisch zusammengehören. Selbst wenn Fehler erkennbar schuldhaft verursacht wurden und sanktioniert werden müssen, muss diese Koppelung greifen. Worauf es im Sinne der Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung ankommt, ist, Fehlerursachen bewusst zu machen, auf Einsicht in Zusammenhänge hinzuwirken, Änderungsbereitschaft hervorzurufen.

STANDARD: Wir stehen am Anfang einer neuen Arbeitswelt. Was steht uns bevor? Lassen Sie sich auf eine orientierende Wegweisung für das Kommende ein?

Kirchler: Im Grunde steckt die Antwort schon in der Frage. Und sie heißt: sich einlassen. Dass das Zukünftige mulmige Gefühle heraufbeschwört, darf nicht dazu verführen, sich innerlich vor diesem Neuen abzuschotten. Der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung Boden unter die Füße zu geben verlangt schlicht und einfach nach der Auseinandersetzung mit dem Kommenden. Nichts untergräbt die persönlichen beruflichen Zukunftsaussichten schneller als "Darauf war ich nicht gefasst" oder "Das hätte ich aber nicht erwartet". Und nichts stabilisiert sie mehr als das Gegenteil davon, auf das Kommende gefasst zu sein, es in die eigenen Erwartungen einzubeziehen – durch umfassende Information und die illusionslose Vorbereitung darauf.

Es sind Fragen wie diese, die an die eigene Adresse zu richten sind: Was wird wahrscheinlich passieren? Welche Auswirkungen könnte das auf meine jetzige Tätigkeit haben? Reicht ein Blick darauf, was ich an Wissen und Können zur Verfügung habe? Wie müsste beides aufpoliert, ergänzt, erweitert werden und mit welcher Schwerpunktbildung? Was sollte ich eventuell beruflich alternativ andenken? Und immer mitzudenken ist: Wo bekomme ich bei all dem Unterstützung? Es ist die Aktivität, die schützt, und die Passivität, die gefährdet. (Hartmut Volk, 18.6.2016)