Tripolis/Kairo – Die staatliche libysche Elektrizitätsgesellschaft hat vor einem totalen Zusammenbruch der Stromversorgung in Tripolis gewarnt. Die Unterbrechungen dauern täglich mehr als zwölf Stunden. Am Dienstagabend hat Premier Fayez Sarraj von der international anerkannten Einheitsregierung die Erklärung dafür geliefert. In einer Fernsehansprache musste der von der UN gestützte Regierungschef eingestehen, dass seine Regierung immer noch keine Kontrolle über Tripolis außerhalb der Militärbasis habe, in der er mit den Mitgliedern des Präsidialrates residiert. Milizen würden die Mitarbeiter der Stromgesellschaft zwingen, Strom dorthin zu liefern, wohin sie ihn haben wollten, präzisierte er.

Ein zweites Beispiel der Milizenherrschaft lieferten vor wenigen Tagen Unbekannte, die zwölf ehemalige Soldaten von Diktator Muammar al-Gaddafi nach ihrer gerichtlich angeordneten Haftentlassung schwer gefoltert und mit Schüssen hingerichtet hatten. Die UN-Menschenrechtsorganisation UNHCR hat am Mittwoch eine unabhängige Untersuchung dieser Selbstjustiz verlangt, die klar die Handschrift einer Miliz trägt.

Um die Zufuhr von Waffen für die Milizen zu unterbinden, hat der UN-Sicherheitsrat am Dienstagabend die Schiffe der europäischen Sofia-Mission im Mittelmeer autorisiert, das UN-Waffenembargo durchzusetzen. Es dürfen alle Schiffe in internationalen Gewässern von und nach Libyen durchsucht werden, bei denen der Verdacht besteht, sie würden militärische Ausrüstung transportieren. Die Resolution stützt sich auf Kapitel 7 der UN-Charta, die den Einsatz von Gewalt erlaubt.

Bisher hatten die europäischen Kriegsschiffe der Sofia-Mission die Aufgabe, das Geschäft der Schlepper mit den Flüchtlingen nach Europa zu unterbinden, das in diesem Jahr schon fast 3000 Menschen das Leben gekostet hat.

Libyen mit seinen circa sechs Millionen Einwohnern ist überschwemmt von 20 Millionen Waffen, die auf illegalen Wegen über die löchrigen See- und Landgrenzen geschmuggelt werden.

Fortschritte gegen den IS

Im Visier der neusten UN-Resolution steht vor allem der Kampf gegen die Jihadisten des "Islamischen Staates" (IS). In dessen Hochburg Sirte konnten die Kräfte der Einheitsregierung – meist aus Misrata – in den vergangenen Wochen Fortschritte erzielen.

Es gelang ihnen vor wenigen Tagen, auch den Hafen von Sirte einzunehmen und damit einen wichtigen Versorgungsweg für den IS abzuschneiden. Derzeit spielen sich die Kämpfe im Stadtzentrum selbst auf wenigen Quadratkilometern ab. Die IS-Jihadisten setzen Scharfschützen und Selbstmordattentäter ein.

Politisch steckt Sarraj aber fest. Diese Woche ist ein Anlauf gescheitert, im Parlament in Tobruk ein Quorum für eine Vertrauensabstimmung zu erreichen. Damit bleibt Libyen auch sechs Monate nach der Unterzeichnung der Verständigung von Shkirat ohne formell anerkannte Regierung. (Astrid Frefel, 16.6.2016)