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Ein Paar mit zwei Kindern bekommt in Niederösterreich maximal 1.642 Euro pro Monat, wenn es sonst keine Einkünfte gibt. Gemäß Erwin Prölls Vorschlag würde die Familie um 142 Euro weniger erhalten.

Foto: dpa-Zentralbild/Matthias Hiekel

Wien – In Oberösterreich ist dieser Tage der soziale Frieden dahin: Der Grund für den Aufschrei vor allem von Sozialorganisationen ist ein besonders heikler Punkt auf der Tagesordnung für die Landtagssitzung am Donnerstag. ÖVP und FPÖ fordern darin den Beschluss einer Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge.

So soll es künftig für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte nur mehr 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 Euro, also in Summe 520 Euro monatlich geben – bisher waren es maximal 914 Euro pro Monat. Abgefedert werde das Paket unter anderem durch zusätzliches Geld für Alleinerziehende und durch Erleichterungen beim Wohnen, heißt es.

"Klar rechtswidrig"

Kritik an diesem Modell hagelte es nicht nur politisch von grüner und roter Seite und von Sozialpolitikexperten, die vor einem stark erhöhten Armutsrisiko für die Betroffenen warnen. Auch zahlreiche namhafte Rechtsexperten äußerten grobe Bedenken. Für den Verfassungsrechtler Theo Öhlinger ist eine Kürzung "klar rechtswidrig". Sie widerspreche der Bundesverfassung, aber auch der oberösterreichischen Landesverfassung, in der die Menschenwürde festgeschrieben ist.

Schützenhilfe kommt vom Sozialrechtler Walter Pfeil von der Universität Salzburg: Die Änderungen seien nicht nur "politisch fragwürdig, sondern begegnen auch erheblichen rechtlichen Bedenken". ÖVP-Sozialsprecher Wolfgang Hattmannsdorfer bleibt dennoch dabei: "Wir sind im Landtag gefordert, unser Sozialsystem vor Überlastung zu schützen."

Mit einem Alleingang in Sachen Mindestsicherung droht auch Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, allerdings geht es ihm nicht um Asylberechtigte, sondern gleich um alle Familien.

Niederösterreich will Deckelung

Zwei Tage vor dem Treffen der Soziallandesreferenten mit Sozialminister Alois Stöger, bei dem ein neuer Mindestsicherungspakt geboren werden soll, schlägt Pröll einen medialen Trommelwirbel. Egal, was beim Treffen herauskomme, seine Partei werde zu Hause in Niederösterreich jedenfalls eine Deckelung der Mindestsicherung mit 1.500 Euro einführen. Zum Vergleich: Eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern hat theoretisch Anspruch auf 1.642 Euro Mindestsicherung – doch in der Praxis wird meist deutlich weniger ausbezahlt. Im Schnitt bekam ein solcher vierköpfiger Haushalt im Jahr 2014 laut Statistik Austria nur 815 Euro, da andere Geldquellen wie ein Einkommen aus Lohnarbeit oder ausbezahlte Notstandshilfe auf die Summe angerechnet werden.

Niederösterreichs Finanzreferentin Johanna Mikl-Leitner begründete die Forderung nach einer Deckelung mit dem Kostenanstieg: Vergangenes Jahr wurden 55 Millionen Euro für Mindestsicherung veranschlagt, heuer seien es um 40 Millionen mehr. Zum Vergleich: Das niederösterreichische Sozialbudget lag im Vorjahr insgesamt bei 1,497 Milliarden Euro.

Der Schuss würde für Niederösterreich allerdings nach hinten losgehen, warnt das Sozialministerium. Denn Teil der heuer auslaufenden Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ist, dass der Bund via "Ausfallshaftung" den Ländern die Kosten für die Krankenversicherung der Mindestsicherungsbezieher ersetzt. Dies wäre ohne neue Vereinbarung hinfällig, heißt es im Büro von Minister Stöger, womit den Ländern durch Alleingänge ein Verlustgeschäft drohe: Für Niederösterreich habe der Anteil der Ausfallshaftung 2014 rund drei Millionen Euro betragen, die Deckelung verspreche hingegen nur Einsparungen von 2,4 Millionen.

Knatsch in der Koalition

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat mit den Alleingängen keine Freude. "Es kann kein Ziel sein, dass das System der Mindestsicherung zerfällt", sagt der Regierungschef. Um zu verhindern, dass sich Bürger das Bundesland mit den besten Sozialleistungen aussuchen, brauche es eine bundesweit gleiche Lösung. Einheitlich tritt jedoch nicht einmal die Bundesregierung auf: Die Bundes-ÖVP sei ganz auf Linie mit den niederösterreichischen Freunden, sagte ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Kern lehnt eine Deckelung ab und kann sich stattdessen striktere Regeln für jene Mindestsicherungsbezieher, die Jobs ablehnen, vorstellen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) vermutet hinter Prölls Alleingang ein taktisches Spiel: Verschärfungen in anderen Bundesländern würden demnach eine weitere Sozialzuwanderung nach Wien bewirken – und "das scheint Sinn der Sache zu sein". (jo, krud, mro, sterk, 14.6.2016)