Gérard Biard: "Lachen ist das, was die Killer am meisten hassen"

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Beim Comic-Festival in Angouleme beschäftigt sich diese Schülerin auch mit dem Aspekt der politischen Sprengkraft von Humor.

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STANDARD: Der Terror schlägt weiter zu. Wie geht es "Charlie Hebdo" anderthalb Jahre nach den Anschlägen auf die Redaktion?

Biard: Wir machen weiter. Was die Verkaufszahlen betrifft, geht es dem Blatt sogar gut. In der Redaktion ist die Stimmung leichter als noch vor einem Jahr. Wir haben neue Räume bezogen, deren Adresse vertraulich ist. Das ist unerlässlich, um "Charlie" mit der nötigen Gelassenheit produzieren zu können. Man muss auch Lust haben, ein Blatt zu machen, und lachen wollen – sogar über Dinge, die absolut nicht lustig sind.

STANDARD: Wie die neuesten Anschläge in Orlando und bei Paris?

Biard: Ja, wir stellen solche dramatischen Ereignissen auf unsere, das heißt komische Weise dar. Lachen ermöglicht es, sich über oder neben die Dinge zu stellen. Lachen ist das, was sie am meisten hassen – die Killer, die religiösen Fundamentalisten, die Tyrannen, die Diktatoren, all die, die eine religiöse oder totalitäre Ordnung einrichten wollen. Das Lachen untergräbt diese Ordnung, denn es setzt voraus, dass man etwas durchschaut hat.

STANDARD: Kam es deshalb zu den Attacken des 7. Jänner 2015?

Biard: Ja, wobei die Attacke auf die "Charlie"-Karikaturisten wegen der Mohammed-Karikaturen nur ein Beginn war. Das große Ziel besteht darin, eine totalitäre Ordnung zu errichten, und das Mittel dazu ist die Willkür. Wer totalitär ist, findet immer einen Grund, jemanden zu töten – etwa, weil er Gotteslästerung betreibe, weil er nicht an Gott glaube, weil er nicht auf die richtige Weise an Gott glaube – oder weil er homosexuell sei. Solche Motive verstehen zu wollen ist pure Zeitverschwendung.

STANDARD: Gilt das auch für die Frage, ob Bezug zum Islam besteht?

Biard: Diese Anschläge haben nichts mit einer speziellen Religion zu tun. Gerade in den USA sind alle religiösen Integristen gegen die Homo-Ehe. Einzelne Staaten wie North Carolina oder Mississippi haben dagegen Maßnahmen ergriffen. Der Killer von Orlando, der sich im letzten Moment auf den IS bezog, hätte sich genauso gut auf die christlichen TV-Prediger beziehen können.

STANDARD: Was sagen Sie zum Vorwurf, "Charlie" sei islamophob?

Biard: "Charlie Hebdo" ist nicht islamophob. Was sagt dieser Begriff? Er wurde von den iranischen Mullahs geschaffen, um Salman Rushdie zu diskreditieren. Islamophobie ist eine Form von Rassismus, doch "Charlie" kämpft gegen alle Formen des Rassismus.

STANDARD: Gibt das Blatt nicht indirekt Kritikern recht, wenn es auf Mohammed-Karikaturen verzichtet?

Biard: "Charlie" hat in zehn Jahren gerade mal drei Karikaturen des Propheten gebracht – weniger häufig als Zeichnungen von Jesus in allen erdenklichen Positionen. Darum geht es gar nicht. Der Schuldige ist nicht Mohammed, sondern Gott. Nehmen Sie die Homosexualität: Alle religiösen Integristen haben dazu die gleiche Haltung.

STANDARD: Innerhalb der französischen Linken gibt es aber starke Unterschiede: Die Feministin Élisabeth Badinter ist für einen strikten Laizismus, andere wollen islamische Zeichen wie Kopftuch oder Burka zulassen. Wo steht Ihr Blatt?

Biard: Wir stehen deutlich näher bei Badinter. Wobei der Kampf politisch ist, nicht gegen eine Religion gerichtet. Die Amerikaner verstehen den französischen Laizismus oft falsch. Für sie hat sich der Staat nicht in die religiösen Angelegenheiten der Bürger einzumischen. Für die Franzosen hat sich hingegen die Religion nicht in die Politik einzumischen.

STANDARD: Frankreich befindet sich weiter im Ausnahmezustand, mit Sozialkonflikten und Hooligan-Gewalt. Wo bleibt da der EM-Spaß?

Biard: "Charlie Hebdo" hat mit Fußball nichts am Hut. Die EM ist eine kommerzielle Unternehmung, die es Politikern ermöglicht, auf Zeit zu spielen. Für (François) Hollande und (Manuel) Valls kommt sie gerade recht, um die Sozialproteste abzuwürgen. Es folgt die Tour de France, dann Olympia, und wer weiß, noch eine kleine Hitzewelle. (Stefan Brändle aus Paris, 15.6.2016)