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Anna und Lisa Hahner

Foto: Reuters/ Wolfgang Rattay

Es kommt halt drauf an, wer etwas tut. Oder sagt. Oder schreibt. Oder – wie in diesem Fall – nicht schreibt: Der Witz vom Buch, dem Magazin oder der Zeitung mit den weißen Seiten und dem Hinweis "Raum für eigene Notizen" ist alt. Und wird in der Regel dann kurz aufgewärmt, wenn man entweder zu wenig Content, zu wenig Schreib-Zeit, zu wenige Bilder oder einfach zu wenige Ideen hat. Trotzdem traut sich niemand, ein Buch, ein Magazin oder eine Zeitung herauszubringen, bei der mehr als ein Drittel der Seiten unter dem Motto "schreib's Dir gefälligst selbst" stehen – und abgesehen von ein paar Regieanweisungen und Kalender- oder Orientierungspaginierung weiß sind. Obwohl: Solche "Bücher" gab es – und sie waren nicht nur super angesagt, sondern auch sauteuer.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch als Bobos noch Yuppies waren, das Smartphone noch nicht erfunden war und jeder Schnösel, der etwas darstellen wollte, seinen Filofax so selbstverständlich auf den Tisch legte, wie man es heute mit iPhone & Co tut, waren Anna und Lisa Hahner noch nicht einmal im Volksschulalter. Laufbücher gab es damals zwar sicher auch schon – aber die große Volksbewegung war die Rennerei damals noch nicht. Und der Mega-Markt, den Laufen heute darstellt, wohl auch nicht. Glaube ich jedenfalls: Ich war damals noch nicht ganz so alt wie es Anna und Lisa Hahner heute sind, hatte aber schon einen Filofax. In den trug ich aber keine Lauf- oder Trainingsdaten ein: Laufen war kein Thema.

Auch jeder andere Selbermachsport fand in einer anderen Welt statt. Nicht in meiner. Wenn mir damals jemand ein Buch in die Hand gedrückt hätte, bei dem die Autorinnen oder Autoren mir von 240 Seiten rund 100 zum Selbervollschreiben leer gelassen hätten, hätte ich mir aber unabhängig vom Themenfeld an die Stirn getippt. Und gefragt, ob sonst mit den Autorinnen und Autoren eh alles ok sei.

Foto: Thomas Rottenberg

Andererseits habe ich mich genau das auch gefragt, als ich "Time to Run" vor ein paar Wochen das erste Mal durchblätterte: Um knapp weniger als die Hälfte eines Buches leer zu lassen, braucht es schon eine gehörige Portion Chuzpe. Außer man ist ein Superstar. Oder noch besser: Man ist zwei Superstars. Und genau das sind die Hahnertwins: Superstars. Anna und Lisa Hahner sind die laufende Version des deutschen Fräuleinwunders. Das Doppelte Marathonlottchen. Und vor allem: Everybody´s Darlings. Wenn die beiden ein Laufbuch schreiben (oder schreiben lassen – so genau weiß man das bei Büchern von Sportlerinnen und Sportlern ja nie), dann dürfen sie so ziemlich alles. Auch 100 Seiten frei lassen – und das keck als "Service" verkaufen. Schließlich handelt es sich bei "Time to Run" ja um ein "Trainingstagebuch für alle, die das Laufen lieben."

Trainingstipps und Service

In dem Buch dreht sich alles um Service. Um Trainngstipps. Daher ist es irgendwie ja auch logisch und konsequent, dass die Hahner-Twins nicht nur ihre eigenen Trainingspläne (ein bisserl) enthüllen und offenlegen, sondern den Leserinnen und Lesern zur Aufforderung, ihr eigenes Training doch zu protokollieren, um Fortschritte und Rückschläge genauer im Blick zu haben oder aber Ziele und Pläne nicht aus dem Fokus zu verlieren, eben auch gleich den Filofax für das individuelle Lauftariningsjahr zur Verfügung stellen. Das ist natürlich super kokett. Denn die beiden tatsächlich super-sympathischen und im persönlichen Umgang (ich lief ihnen einmal ganz kurz über den Weg) alles andere als abgehobenen Spitzensportlerinnen wissen genau, dass ihr Publikum ihnen den kleinen "Denkfehler", der das Buch dann halt deutlich dicker macht als es ist, liebend gerne verzeiht: Menschen, die sich ein Laufbuch der Hahner-Zwillinge kaufen, sind in der Regel nämlich so tief in der Materie drin, dass sie selbst wissen, was Trainingsprotokolle können. Und daher entweder längst ihre eigene Art zu protokollieren haben – oder genau wissen, wieso sie das eben nicht tun.

Foto: Thomas Rottenberg

Laufbücher wie "Time to Run" kauft und liest (und liebt) man aus einem ganz anderen Grund: Aus Neugierde. Weil man sich dafür, was die Protagonistinnen zu erzählen haben, interessiert. Die "klassischen" Tipps und Erklärungen (Laufschuhe, Funktionskleidung & Co) fallen zwar unter "erwartbar". Aber dort, wo die beiden erzählen, was Joey Kelly (ja, genau der) mit ihrer Läuferinnenwerdung zu tun hat, ist "Time to Run" richtig unterhaltsam – und das ist ein rares Prädikat in der meist eher humorbefreiten und trockenen Welt der Sportbücher. Das tröstet dann auch über manche Banalität hinweg. Etwa Tipps wie das Laufgewand für frühmorgendliche Workouts schon am Abend ins Badezimmer zu legen – um Mitbewohner nicht aufzuwecken. Spannender – und dennoch persönlich – wird es, wo es etwa um das Wechselspiele zwischen Ernährung und Leistungssport geht.

Die Hahners wollen nicht missionieren

Dankenswerter Weise gehören die beiden Läuferinnen eben nicht zu jener Kategorie von Autoren, die behaupten, das Rad neu erfunden zu haben oder die alleinseligmachende Weisheit zu besitzen: Die Hahners erzählen. Bieten an. Stellen frei. Gut so. Anna und Lisa Hahner wollen nicht missionieren – sie erzählen. Von sich. Also vom Laufen: Von Lauftechnik. Von Motivation und Zielsetzung. Von Erfolgen, Durchhängern, von Verletzungen und dem langen, beschwerlichen Weg zurück. Von Motivation und den 1000 kleinen Tricks, mit denen sie sich im Training und im Wettkampf immer doch noch ein Quäntchen Energie, noch einen kleinen Push geben.

Sei es durch Talismane, Playlists, Rituale oder die schmunzelnde Vorstellung, dass ihnen jeder überlaufene Kanaldeckel einen Energieschub verpasst: Was wirkt das gilt. Und ist deshalb gut. Ob und wie und für wen, muss halt jeder und jede für sich selbst herausfinden. Nicht nur, aber eben auch beim Laufen: Die Hahner-Schwestern geben sympathische und praktikable Denk- und Handlungsanstöße. Ideen, die nicht neu sind, aber eben doch passen können. Mir zumindest: Dass positives Denken mehr bringt als Selbstmitleid und Trübsalgebläse, weiß ich natürlich auch selbst.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber just in einem Moment, in dem ich mich zu fragen beginne mein eigenen Wieder-Laufen-Können-Pläne statt unter "wann" doch unter "ob überhaupt wieder" laufen müssen, stolpere ich bei Anna & Lisa Hahner ins Verletzungskapitel. Und auch wenn das, was die Beiden da über positive Denkschemata und Ansätze, Motivation und Autosuggestion erzählen, als bekannt vorausgesetzt werden kann, muntert es mich auf: "Aufgeben tut man einen Brief" schreiben sie zwar nirgendwo – aber so platt kann dieser Satz gar nicht sein, dass die Botschaft nicht dennoch stimmt.

Ganz besonders dann, wenn sie von den richtigen Leuten postuliert und transportiert wird. Schon deshalb kann ich über die 100 leeren Seiten im Buch der beiden Läuferinnen schmunzeln. Und die übrigen 140 als Lektüre empfehlen: Es kommt nämlich nicht nur drauf an, was man sagt. Sondern auch wer. Und vielleicht gibt es ja wirklich Menschen, die es weiterbringt, wenn sie ihr eigenes Training in ein Buch wie dieses schreiben. Dann haben die Hahner-Twins einmal mehr recht – und ich mich eben geirrt. Aber damit kann ich sehr gut leben. (Thomas Rottenberg, 15.6.2016)


Anna & Lisa Hahner: "Time to Run – Das Trainingstagebuch für alle, die das laufen lieben", Spomedis, Hamburg 2016