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Treffen in Wien: CTBTO-Generalsekretär Lassina Zerbo (li.), der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Yukiya Amano, und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Foto: AP / Ronald Zak
Quelle: STANDARD

Der Platz vor der Prager Burg war zum Bersten voll. Zwischen einem blumenumrankten Rednerpult und der malerischen Skyline der Prager Altstadt stand US-Präsident Barack Obama und verkündete seine Vision einer atomwaffenfreien Welt: "Wir müssen die Stimmen ignorieren, die sagen, die Welt könne sich nicht ändern", rief er. "Wir müssen insistieren: Yes, we can!"

Zeit und Ort waren bewusst gewählt: Im April 2009 führte Tschechien gerade den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Nur 20 Jahre zuvor lag das Land noch hinter dem Eisernen Vorhang und war fester Bestandteil des kommunistischen Machtblocks. Und nun stand da ein amerikanischer Präsident und verkündete unter frenetischem Jubel seinen Traum von der nuklearen Abrüstung. Der Schauplatz Prag sollte symbolisieren, dass auch kühne Träume wahr werden können.

Obama: "Mehr Mut"

Bereits in seinem ersten Amtsjahr hatte Obama den Kampf gegen Proliferation zu einer seiner Prioritäten erklärt, wofür er unter anderem mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Und es ist erst einige Wochen her, dass er seine Vision erneut bekräftigt hat. 71 Jahre nach dem Atombombenabwurf der USA wollte Obama seinen Besuch in der japanischen Stadt Hiroshima, die wie keine andere als Symbol steht für die Zerstörungskraft von Atomwaffen, als Mahnung verstanden wissen: Er rief dazu auf, den Mut aufzubringen, "der Logik der Furcht zu entkommen und eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen".

Wie aber steht es um Obamas atomare Abrüstungsbilanz? Nicht gut, befand der Nuklearexperte Shannon Kile vom renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri kürzlich in einem Interview mit der deutschen Presseagentur. Aus seiner Vision einer Welt ohne Atomwaffen sei "wirklich gar nichts geworden", sagte Kile. "Was wir stattdessen gesehen haben, ist im Grunde ein Triumph des nuklearen Status quo in den Vereinigten Staaten."

Ein Blick in den aktuellen Sipri-Bericht, der am Montag präsentiert wurde, zeigt: Die Anzahl der Atomsprengköpfe ist zwischen dem Beginn von Obamas Amtszeit 2009 und Ende 2015 weltweit von 23.300 auf 15.850 gesunken – zu Zeiten des Kalten Krieges waren es noch rund 70.000. Neun Staaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) hatten dem Bericht zufolge zu Beginn dieses Jahres rund 4100 Atomwaffen einsatzbereit und verfügten über knapp 15.400 atomare Sprengköpfe.

Modernisierungsprogramme

Der leichte Rückgang ist nach Angaben des Sipri-Instituts vor allem eine Folge der kontinuierlichen Reduzierung des Arsenals der USA und Russlands seit Beginn der Neunzigerjahre – jener Staaten also, die zusammen über 93 Prozent aller Atomwaffen weltweit besitzen. Doch er geschieht laut Sipri erstens überaus langsam, und zweitens betreiben sowohl die USA als auch Russland zeitgleich ausgedehnte Modernisierungsprogramme.

In Asien rüsten gleich mehrere Staaten atomar auf, Nordkoreas Atomprogramm besorgt die ganze Welt, und die Regierung in Moskau spielt die nukleare Karte seit der Ukraine-Krise wieder so oft aus, dass seit langer Zeit wieder die Angst vor einem Atomkrieg umgeht. Auch um die Aussichten auf ein völliges Atomtestverbot steht es nicht gut: Zwar existiert der Vertrag, der weltweit Atomtests verbieten würde, bereits seit 20 Jahren. Nur fehlt noch die Ratifizierung von acht Atomstaaten, damit dieser in Kraft treten kann.

Doch dem Schritt sind diese nicht näher gekommen, wie EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag in Wien anlässlich der 20-Jahres-Feier der 1996 gegründeten Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization (CTBTO) resümierte. Indien, Pakistan und Nordkorea haben noch nicht einmal unterschrieben, die USA, China, Israel, Ägypten und der Iran haben noch nicht ratifiziert.

Eine Welt ohne Atomwaffen scheint momentan so weit weg, wie seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr. Der US-Präsident dürfte sie jedenfalls nicht mehr erleben. (Anna Giulia Fink, Gerald Schubert, 14.6.2016)