Ein "Nein zum Brexit, für den Verbleib in Europa"-Schild außerhalb von Newry in Nordirland, nahe der Grenze zur Republik Irland.

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Die Folgen eines Brexit für Großbritanniens Außen- und Sicherheitspolitik würden sich zunächst in Grenzen halten. Mit der Zeit hätte die Abwesenheit vom Brüsseler Verhandlungstisch aber ernste Konsequenzen. Zu diesem Ergebnis kommen die Experten des Londoner Strategie-Instituts IISS. Nationalistische und populistische Bewegungen auf dem Kontinent würden "enorm ermutigt" werden, sagte IISS-Chairman François Heisbourg am Montag in London.

Heisbourg verwies auf Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, den Front National in Frankreich und auf die Niederlande: "Als Nächstes könnte uns der Nexit ins Haus stehen." Ohne die Insel werde Deutschland noch stärker als bisher die Rolle als Führungsmacht Europas zufallen.

"Kühl und pragmatisch"

IISS-Experte Nigel Inkster warnt aus einer anderen Perspektive heraus vor dem Brexit: "Britische Geheimdienstler messen der Kooperation mit ihren europäischen Partnern hohe Bedeutung bei", sagt der frühere Vizechef des Auslands-Geheimdienstes MI6. Gerade in der Terrorbekämpfung könne man nie genug Informationen haben: "Sie wissen nie, welche Partnerbehörde das fehlende Puzzleteil liefert."

Visionen von der Zukunft Europas spielten im Abstimmungskampf keine Rolle, hat Professor Lawrence Freedman beobachtet. "Die Leute wägen kühl und pragmatisch ihre Interessen ab." Das sei beim Referendum vor 41 Jahren noch anders gewesen, erinnert sich der Strategie-Experte. Damals wurde die Debatte von Angehörigen der Kriegsgeneration bestimmt, Kooperation in Europa sei damals als bewahrenswertes Gut wahrgenommen worden. Heute gelten sie als selbstverständlich. "Das ist in gewisser Weise ein Erfolg der EU", resümiert Freedman. "Die Leute haben keine Ahnung, wie die EU funktioniert", glaubt Freedman. Tatsächlich erschreckt die Brexit-Lobby Vote Leave auf ihren Flugblättern die Menschen mit der Idee einer "europäischen Armee", ohne dass dieser Vision widersprochen wird.

Um die Emotionen gegen weitere EU-Einwanderung zu schüren, sprechen die EU-Feinde zudem von Aufnahmekandidaten wie Serbien und der Türkei, als stünde deren Beitritt unmittelbar bevor. Freedman befürwortet zwar ein Votum für den EU-Verbleib; es sei aber "nicht gerade leicht, diese Organisation zu verteidigen". Die anhaltende Krise in der Eurozone, dazu die Flüchtlingskrise, habe das Gefühl verstärkt, der Brüsseler Club sei mit erheblichen Risiken behaftet. "Europa ist zu weit gegangen und wollte zu viel erreichen", fasst er zusammen.

Zwist zwischen Regionen

Die IISS-Experten erwarten neuen Zwist zwischen den Regionen des Vereinigten Königreiches, vor allem bei einem knappen Ergebnis. Den Umfragen zufolge wollen Waliser, Nordiren und Schotten mit deutlicher Mehrheit für den EU-Verbleib stimmen; ein Brexit-Votum würde also den kleineren Landesteilen den Willen der 55 Millionen Engländer aufzwingen.

So würden die schottischen Nationalisten die Frage der Unabhängigkeit wiederbeleben, die durch die Volksabstimmung 2014 eigentlich für eine Generation geklärt schien. Auch ein knappes Verbleib-Votum könnte problematisch werden, wenn die Regionen das austrittswillige England zum Verbleib im Brüsseler Club zwängen. (Sebastian Borger aus London, 13.6.2016)