Die globale Öffnung geht aktuell mit territorialer Abgrenzung einher: Thema der Ausstellung sind Grenzziehungen und Raumvorstellungen

Wien – Riesige blutbefleckte Klingen, die durch Mauern eindringen? Es ist ein martialisches Bild vom Überschreiten der Grenzen, das im Kunstraum Franz-Josefs-Kai 3 empfängt. Nur aus einer Perspektive – jene einer Kamera – formt sich aus den Flecken der Installation die Karte Europas. Eine fast schon zu offensichtliche, zu platte Metapher für die Gewalt, die sich an den Grenzen der Festung Europa ereignet, denkt man zunächst – und revidiert dies, sobald man das Entstehungsjahr der Arbeit entdeckt: 1983.

Es geht also weniger um aktuelle Migrationsströme als um Europa im Ost-West-Konflikt, in noch völlig anderen territorialen Grenzen. Nicht nur das: 1983 war eines der gefährlichsten Jahre im Kalten Krieg. Das Wettrüsten von USA und Sowjetunion entwickelte sich zum brisanten Schlamassel, als die Amerikaner ihre Pershing-2-Raketen in Deutschland stationierten. Und auf kursierende Gerüchte, der Westen würde bald einen Atomkrieg beginnen, antworteten die Sowjets mit der Planung des Erstschlags. So viel zum historischen Hintergrund von Peter Weibels Europa(t)traum.

Peter Weibel: "Europa(t)raum" (1983)
Foto: Jörg Auzinger

Die mit geografischen Räumen, Grenzziehungen und -verschiebungen beschäftigte Ausstellung Where Are We Now? allein als Reaktion auf die aktuellen politischen Herausforderungen in Europa zu begreifen oder gar als Satellit der sehenswerten Festwochen-Ausstellung Universal Hospitality, würde zu kurz greifen.

Kurator Ronald Schöny forscht schon seit längerem zu Kunst, die mit territorialen Raumvorstellungen befasst ist. Das Aktuelle gab allerdings Anlass dazu, die Recherchen in diese empfehlenswerte und auf zwölf Positionen konzentrierte Schau münden zu lassen.

Über allem treiben essenzielle Fragen: Was bedeutet die Vorstellung von Raum und Territorium für unsere demokratischen Gesellschaften, wenn die Politik der Zäune zum fortwährenden, sich in den Alltag einschreibenden Thema wird? Und: Ist es nicht grotesk, dass wirtschaftliche Globalisierung und territoriale Abschottung parallel verlaufen?

Analoges Wikileaks

Ein Highlight der Schau ist etwa die Begegnung mit Peter Fend, einem Avantgardisten politisch motivierter künstlerischer Recherche, der, wie es heißt, seine Aktentasche niemals aus den Augen ließ: In der Prä-Internet-Ära, also lange vor Google Earth und frei verfügbaren Satellitenbildern, organisierte er sich über Kontaktpersonen beim Militär Satellitenaufnahmen, um etwa Informationen über ein Staudammprojekt in Algerien öffentlich zu machen.

Zu historischen Begebenheiten, dem Bau der Transiranischen Eisenbahn (1927-1938) und den internationalen Beziehungen des Iran zu Nazi-Deutschland und den USA, arbeitet Ramesh Daha. Recherchen, die auch ins klassische Format Tafelbild fließen.

Das Foto einer Wärmebildkamera, das die mexikanische Grenze bei Nacht zeigt, gehört zu den bewegenden Arbeiten zum Thema Migration. Stark ist auch Kader Attias an Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer gemahnendes Foto eines Mannes, der von der algerischen Wehranlagen zu den westwärts fahrenden Schiffen blickt. Masha Poluektova hat statistische Daten über die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer in eine berührende Installation übersetzt: Die Zahl der Opfer variiert die Höhe der Sockel, die Bilder von Vermissten – auf Seealgenpapier gedruckt – tragen.

Körperlich erfahrbar wird Grenze aber in dem Maschendrahtzaun, den Gabriele Sturm im Ausstellungsraum hochzog – allerdings nicht ohne Schlupflöcher zu lassen für Mensch und Tier, ein seit 2004 verfolgtes Motiv der Künstlerin. An die Wand heftete sie einen Krazy Kat-Comicstrip von 1937: Darin ermahnt ein Schild die Maus, sie solle gefälligst auf ihrer Seite der Linie bleiben. Die fragt daraufhin: "Was ist unsere Seite?" (Anne Katrin Feßler, 13.6.2016)

Franz Josefs Kai 3, bis 3.7.

Kader Attia: "Man in Front of the Sea" (2009)

Foto: Kader Attia, courtesy Galerie Krinzinger Wien

Gabriele Sturm: "Zaun", Spielfeld (2016)

Foto: Gabriele Sturm

Ruth Schnell: "Boarderroad" (2008/14)

Foto: Ruth Schnell

Masha Poluektova: "I want to live where I could live" (2015)

Foto: Masha Poluektova