Seit zwei Wochen türkischer Europaminister ist Omer Celik Chefverhandler der Beitrittsverhandlungen mit der EU: Er hofft wie sein Präsident Recep Tayyip Erdogan auf einen Visafreiheitsdeal im Oktober.

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Brüssel/Ankara/Wien – Die türkische Regierung hat die Hoffnung aufgegeben, dass die für Anfang Juli geplante Visafreiheit für Türken bei Reisen in EU-Staaten umgesetzt werden könnte. "Wenn wir realistisch sind, werden wir den Termin nicht einhalten", sagte der neue Europaminister Ömer Celik dem niederländischen Sender NOS. Wie berichtet, haben die EU-Innenminister beim Treffen in Luxemburg am Freitag bereits die Stopptaste gedrückt, nicht nur bei der Türkei, sondern auch für die Ukraine, Georgien und den Kosovo – zum Teil gegen die Empfehlung der EU-Kommission.

Die geplante Visafreiheit ist seit März Teil des EU-Türkei-Pakts zum Stopp der irregulären Migration in der Ägäis nach Griechenland. Ursprünglich für Jahresende vorgesehen, war die Vorziehung auf Juli eine der Bedingungen der Regierung in Ankara zur Zustimmung. Zwar wurden die meisten der insgesamt 72 EU-Kriterien inzwischen erfüllt, etwa die Einführung biometrischer Pässe. Aber die Türkei weigert sich, ihren Begriff von "Terrorismus" an EU-Standards auszurichten, wegen der Konflikte mit den Kurden.

Nun hofft man in Ankara darauf, dass die Visafreiheit bis Oktober kommt, eventuell mit einer Einigung in der Zypernfrage. Präsident Recep Erdogan droht damit, andernfalls den Migrationsdeal platzen zu lassen. Parallel dazu verschärft sich Zug um Zug der Ton zwischen Deutschland beziehungsweise deutschen Europapolitikern und Ankara. Nachdem der Bundestag unter Applaus von Kanzlerin Angela Merkel vergangene Woche die Angriffe Erdogans auf türkischstämmige Abgeordnete zurückgewiesen hatte, setzte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach.

"Neustart der Beziehungen"

Im Interview mit der Welt am Sonntag sagte sie: "Es gibt Entwicklungen in der Türkei, die uns zutiefst beunruhigen, wie etwa Einschränkungen bei der Pressefreiheit oder Missachtung von Menschen- und Minderheitenrechten oder der Umgang mit Parlamentariern." Genau das weist die Türkei vehement zurück. Erst am Dienstag hatte Erdogan die Aufhebung der Immunität von kurdischen Abgeordneten der HDP bestätigt, denen er Kooperation mit "Terroristen" vorhält. Der Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber, geht daher einen Schritt weiter – er will den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen: "Ist jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, über einen Neustart der Beziehungen zur Türkei zu reden?", fragt er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Er beruft sich dabei auf EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Der deutsche Sozialdemokrat hatte Erdogan einen "absoluten Tabubruch" vorgehalten. Weber sagt: "Wir entfernen uns doch mit jedem Tag vom Ziel einer türkischen Vollmitgliedschaft in der EU." Er spüre bei Grünen und Sozialdemokraten eine "deutliche Entfremdung" zur Türkei, deren möglicher Beitritt sei "eine Lebenslüge einer ganzen Politikergeneration gewesen". Es sei "Zeit für einen realistischen Neustart", so Weber, in puncto EU-Beitritt der Türkei kenne er im Moment "keinen Regierungschef, der das ernsthaft will". (Thomas Mayer, 13.6.2016)