Anwalt Dieter Böhmdorfer und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fechten die Bundespräsidentenwahl an.

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Wien – Seit Freitag liegen jene 152 Seiten, mit denen die FPÖ die Bundespräsidentenwahl beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten will, dem STANDARD vor. Experten gehen ob des Umfangs und der Detailgenauigkeit des Dokumentes davon aus, dass die Freiheitlichen bereits vor der Stichwahl am 22. Mai den Entschluss zur Wahlanfechtung getroffen haben – und zumindest das erste Drittel, in dem es um die Begründung der Wahlanfechtung geht, vorformuliert haben.

Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, der die FPÖ rechtlich vertritt, gibt an, dass die gesammelten Vorwürfe nach der Stichwahl mittels standardisierten Fragebogens von den Mitgliedern der Bezirkswahlbehörden zusammengetragen wurden. Demnach lägen zahlreiche "eidesstättige Erklärungen" für eine allfällige Zeugenaussage vor dem VfGH vor.

Die Vorwürfe der FPÖ im Detail

Die Freiheitlichen werten die Möglichkeit einer Vorsortierung in nichtige (etwa durch Beschädigung, fehlende Unterschrift oder vorzeitiges Einlangen) und zu zählende Wahlkarten wesentlich strenger als der Leiter der Wahlbehörde im Innenministerium, Robert Stein, und Verfassungsrechtler Heinz Mayer. Beide hatten sich auf die in Paragraf 10, Absatz 6 des Bundespräsidentenwahlgesetzes definierte Notwendigkeit einer Ersterfassung bezogen – ein rechtmäßiges Vorgehen, sofern die im geöffneten Briefumschlag steckenden Wahlkuverts bis zur Auszählung durch die Wahlkommission geschlossen bleiben.

Die FPÖ hält dem Paragraf 14a, Absatz eins entgegen, der zusammengefasst besagt: Die Unversehrtheit einer Wahlkarte ist erst am Tag nach der Wahl um neun Uhr vom Bezirkswahlleiter "unter Beobachtung durch die anwesenden Beisitzer" zu prüfen. Bis dahin sei nur die Erfassung der Wahlkarten korrekt, wie es auch ein Wahl-Leitfaden des Innenministeriums empfiehlt. Betroffen seien rund 573.000 Wahlkarten. Das Innenministerium kann diese Zahl derzeit nicht bestätigen.

"Um den Workflow zu erleichtern"

Wahlleiter Stein erklärt, vom STANDARD neuerlich dazu befragt, dass es sich lediglich um eine "Vorsortierung, keine Sortierung" handle, "um den Workflow zu erleichtern". Stein: Die endgültige Entscheidung (über die Gültigkeit einer Wahlkarte, Anm.) wird am Montag um neun Uhr getroffen." Bis dahin bedeute die Vorsortierung nichts anderes, als dass statt eines Wahlkartenstapels eben zwei oder drei Stöße aufgestapelt würden. Erst wenn die Bezirkswahlkommission bestätigt, dass die Vorsortierung ihres Erachtens richtig sei, dürften die Wahlkarten entnommen, geöffnet und gezählt werden.

Vielerorts soll genau das nicht möglich gewesen sein. In Villach-Stadt beispielsweise sei von Unbefugten bereits am Wahlabend ausgezählt worden, die von der FPÖ-Beisitzerin verlangte Protokollierung sei zwar zugesichert worden, aber nicht erfolgt. Im Fall Villach-Land soll unbefugt ausgezählt, die Sitzung der Bezirkswahlbehörde erst für Montag, 14 Uhr angesetzt worden sein. Die blauen Beisitzer haben die Unterschrift verweigert.

"Aussortierung"

Die FPÖ wertet eine "Aussortierung" der Wahlkarten als "Vorgang, der der Auswertung der Wahlkarten zuzurechnen ist". Aber auch eine Vorsortierung wollen die Blauen nicht gelten lassen, denn "zumindest faktisch" werde in diesem Fall "eine Überprüfung in der Regel nicht mehr vorgenommen". Die Annahme: Miteinzubeziehende Wahlkarten könnten von "hierfür unzuständigen Personen" nicht in die Ergebnisermittlung miteinbezogen werden", auszuscheidende hingegen Berücksichtigung finden.

Es folgt eine Auflistung jener Wahlbezirke, in denen es "nicht einmal nachträglich die (theoretische) Möglichkeit" gegeben haben soll, "den Ausscheidungsvorgang zu überprüfen". So seien in einem Wahlbezirk die ausgeschiedenen Wahlkarten etwa bereits in Kisten abgepackt gewesen.

Auch bei der Ausstellung der Wahlkarten soll es laut FPÖ zu Pannen gekommen sein, nämlich: Statt der vorgesehenen beige-farbenen seien andersfärbige Wahlkarten ausgestellt – und letztlich unterschiedlich gezählt – worden. Die Anwälte wollen 29 Stimmbezirke ausgemacht haben, in denen diese Wahlkuverts ausgeschieden wurden, in 15 Fällen sollen sie hingegen für gültig erklärt worden sein.

FPÖ sieht Relevanz

Was die Relevanz der eingebrachten Vorwürfe anlangt, argumentiert man: Um Einfluss auf das Wahlergebnis zu haben (und damit überhaupt von den Verfassungsrichtern behandelt zu werden), reichte Hofer bereits die Hälfte der 30.863 Stimmen, die ihm auf Kontrahent Alexander Van der Bellen fehlen. Und, von Anwalt Böhmdorfer als zentrales Argument vorgebracht: Bereits einmal habe der VfGH festgehalten, dass keine tatsächliche Manipulation nachgewiesen werden muss, wenn es um "Formalvorschriften" geht, "deren Zweck es ist, Manipulationen oder Missbräuche im Wahlverfahren auszuschließen".

Einen Teil der Anfechtung widmet die FPÖ auch verfrühten öffentlichen Spekulationen über den möglichen Wahlausgang. So hätten einzelne Gemeinden ihre Ergebnisse etwa deutlich vor Wahlschluss um 17 Uhr im Internet publiziert.

Kapitel fünf des umfassenden Dokuments beschäftigt sich schließlich mit dem Vorwurf, der ORF habe in seiner Berichterstattung rund um die Wahl gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. (Renate Graber, Karin Riss, 10.6.2016)