Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger, und die zwölf Höchstrichter müssen zahlreiche Vorwürfe bezüglich der Präsidentenwahl prüfen.

Foto: APA/Helmuth Fohringer

Frage: Die FPÖ behauptet, dass 573.000 Wahlkarten zu früh "ausgesondert" worden seien – in 82 Bezirkswahlbehörden. Dürfen Briefwahlkuverts vorsortiert werden?

Antwort: Die FPÖ rückt ihre 150 Seiten dicke Anfechtung nicht heraus. Ob die Zahlen stimmen, lässt sich vorerst also nicht nachprüfen. Was die Frage anlangt, ob eine solche Erfassung grundsätzlich zulässig ist, verweisen sowohl Verfassungsexperte Heinz Mayer als auch der Leiter der Wahlbehörde im Innenministerium, Robert Stein, auf Paragraf 10, Absatz 6 des Bundespräsidentenwahlgesetzes – darin ist eine Vorsortierung sehr wohl vorgesehen. Allerdings müssen die im geöffneten Briefumschlag steckenden Wahlkuverts bis zur Auszählung durch die Wahlkommission geschlossen bleiben. Hier geht's zur Chat-Nachlese mit Wahlleiter Robert Stein.

Frage: Warum werden überhaupt Briefwahlkuverts aussortiert? Und was geschieht mit ihnen?

Antwort: Aussortiert wird unter anderem, wenn der Briefumschlag stark beschädigt ist oder die Unterschrift darauf fehlt. Auch Wahlkarten, die zu früh abgeschickt wurden, kommen auf einen Extrastapel in der Posteingangsstelle der jeweiligen Bezirkswahlbehörde. Dort müssen alle eingelangten Briefwahlkarten versperrt und der Wahlkommission am Montag nach der Wahl um 9 Uhr vorgelegt werden.

Frage: In fünf Wahlbezirken soll bereits vor diesem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt ausgezählt worden sein. Mit welchem Effekt?

Antwort: Das Innenministerium hat die Kärntner Gemeinden Villach-Stadt, Villach-Land, Hermagor und Wolfsberg sowie einen Bezirk in der Südoststeiermark bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Gleichzeitig will man die Schulungen für Wahlbeisitzer intensivieren. Für die Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ist die verfrühte Auszählung irrelevant, weil es für das Wahlergebnis selbst keinen Unterschied macht, ob am Sonntag oder am Montag ausgezählt wird.

Ergänzung: In der Bezirkshauptmannschaft Hermagor legt man Wert darauf, festzuhalten, "dass in der Bezirkswahlbehörde Hermagor die Stimmauszählung am Montag nach 9 Uhr ausschließlich durch die vollständig anwesenden Mitglieder der Bezirkswahlbehörde (politisch besetzt, das Mitglied der FPÖ war dabei und hat selbst mitgezählt!) stattgefunden hat!". Verwaltungsdirektor Gustav Rachoi schreibt dem Standard in einer Stellungnahme, dass man "lediglich durch die Bezirkswahlbehörde beauftragte Vorarbeiten geleistet" habe, die mit Bezug auf den oben erwähnten Paragraf 10, Absatz 6 als zulässig zu betrachten seien.

Frage: FPÖ-Anwalt Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer behauptet auch, dass 120.000 Wahlkarten noch am Wahlsonntag geöffnet worden seien, die dann am Montag in die Auszählung miteinbezogen wurden. Rechtswidrig?

Antwort: Wenn diese an sich rechtswidrige Handlung von der richtigen (Wahl-)Behörde gesetzt wurde, bleibt das Vorgehen zwar aufgrund des falschen Zeitpunkts gesetzeswidrig (Urkundendelikt), das Wahlergebnis würde dadurch aber nicht verändert.

Steht der FPÖ bei der Wahlanfechtung rechtlich zur Seite: Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Frage: Waren nicht auch Wahlbeisitzer der FPÖ bei den beanstandeten Auszählungen dabei?

Antwort: Die FPÖ sagt, ihre Beisitzer seien nur dort dabei gewesen, wo unrechtmäßig bereits am Sonntag ausgezählt wurde. Alle anderen Beanstandungen seien vor dem Zusammentreten der Bezirkswahlkommission – also ohne Mitwirken von FPÖlern – geschehen. Offen bleibt, warum diese dann zunächst mit ihrer Unterschrift den korrekten Ablauf der Auszählung bestätigt haben.

Frage: Wo haben angeblich nichtbefugte Personen die Auszählung vorgenommen?

Antwort: Laut FPÖ haben Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft in den Bezirken Villach-Stadt, Villach-Land, Leibnitz, Innsbruck-Land, Kitzbühel sowie den Bezirken Südoststeiermark und Graz-Umgebung in Abwesenheit der Wahlbehörde ausgezählt.

Frage: Können neue Vorwürfe nachträglich eingebracht werden, oder ist es dafür zu spät?

Antwort: "Nein", lautet die Kurzantwort von Heinz Mayer. Die dafür vorgesehene Frist ist am Mittwoch dieser Woche abgelaufen.

Frage: Ist diese Anfechtung eine Besonderheit?

Antwort: Nein. Auch die erste Wahl von Heinz Fischer zum Bundespräsidenten im Jahr 2004 landete vor dem Verfassungsgerichtshof. Drei zur Wahl nicht zugelassene Bewerber hatten sich über die hohe Zahl an Unterstützungserklärungen (6.000) für eine Kandidatur beschwert – erfolglos allerdings.

Frage: Warum gibt es drei Anfechtungen?

Antwort: Laut Gesetz kann nur der Zustellungsbevollmächtigte des Kandidaten, in diesem Fall FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, die Wahl vor dem Verfassungsgericht beanstanden. Weil die Blauen aber genau das auch für verfassungswidrig halten, brachten auch Norbert Hofer selbst und ein besorgter Bürger eine Anfechtung ein. Weil sich die Höchstrichter nicht nur einzelne Teile der Anfechtung vorknöpfen können, werden sie sich auch mit diesem Argument befassen müssen.

Frage: Was passiert, wenn der Anfechtung stattgegeben wird?

Antwort: Kommt drauf an, sagt Verfassungsexperte Mayer. Die Richter könnten die ganze Stichwahl aufheben – oder aber nur in bestimmten Wahlbezirken neu wählen lassen. Eine Prognose sei schwierig.

Nicht nur er empfindet die Vier-Wochen-Frist für die Höchstrichter als "sehr ambitioniert": Verfassungsexperte Heinz Mayer.
Foto: APA/Helmuth Fohringer

Frage: Geht sich eine Überprüfung realistischerweise in vier Wochen aus?

Antwort: "Sehr ambitioniert" nennt Heinz Mayer diese Zielvorgabe für die Höchstrichter angesichts der Fülle an Vorwürfen. Er geht eher nicht davon aus. Die Richter machen Tempo: Ein Vorverfahren wurde bereits eingeleitet, bis 17. Juni sollen die Wahlakten aller Bundeswahlbehörden sowie die Strafanzeigen des Innenministeriums vorliegen. Das Innenressort arbeitet auch an einer Stellungnahme. Der VfGH hat aber auch für den Fall vorgesorgt, dass das Zusammentragen aller relevanten Informationen länger dauert. Bereits bei der EU-Wahl 2014 hielt man sich nicht an die Vier-Wochen-Frist, sondern verstand diese lediglich als Empfehlung, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Ob es zu einem öffentlichen Verfahren und Zeugenladungen kommt, ist noch offen.

Frage: Sollte es eine neue Stichwahl geben, wann muss die stattfinden?

Antwort: Dafür gibt es keine gesetzliche Bestimmung. Wahlleiter Robert Stein sagt, dass die Verfassungsrichter dafür eine Frist setzen würden.

Frage: Läuft diese dann nach bisherigem Modus, also wieder mit Briefwahl ab?

Antwort: Selbstverständlich. Es läuft nach dem "geltenden Wahlrecht" ab, sagen die Experten unisono.

Frage: Wann gibt es einen neuen Präsidenten?

Antwort: Die vorgesehene Angelobung des designierten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen soll am 8. Juli stattfinden. Einerseits hängt das jetzt von der Geschwindigkeit der Höchstrichter ab, andererseits natürlich vom Ergebnis ihrer Prüfung. Der Termin wackelt gehörig.

Frage: Bleibt Heinz Fischer notfalls im Amt?

Antwort: Nein. Heinz Fischer scheidet in jedem Fall aus. Ist seine Nachfolge bis zu diesem Tag weiter in Schwebe, übernimmt das Kollegium der Nationalratspräsidenten die Rolle des Staatsoberhaupts. Sprich: Ab da ist FPÖ-Kandidat Norbert Hofer zumindest Kurzzeitmitpräsident. Fischer selbst wird Gastprofessor an der Uni Innsbruck und wird ab Herbst eine Vorlesung zum Thema "Die Geschichte und Demokratie-Entwicklung der Zweiten Republik" halten. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, Karin Riss, 9.6.2016)