Genau, gut und motivierend – Christian Thielemann.

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Wien – Der Beethoven war unfassbar gut, sowohl von Orchesterseite als auch solistisch. Hat man das Werk, speziell dessen Kopfsatz, je differenzierter und prägnanter gestaltet gehört? Hat man je ein engeres, intimeres Miteinander von Solist und Orchester miterlebt? Was Nikolaj Znaider, Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden da am ersten von zwei Gastspielabenden im Großen Saal bei Beethovens ausladendem Violinkonzert vollbrachten, war eine Sterndreiviertelstunde der Kunst.

Der gebürtige Däne, einst Schüler von Boris Kuschnir in Wien, mischte in seinem Spiel Virilität und Eleganz, Energie und Feinheit: ein Offizier und Gentleman. Selbst simple Dreiklangszerlegungen präsentierte Znaider – optisch ein Ebenbild des jungen Hansjörg Felmy – als intensive emotionale Studien. Lediglich beim Beginn des Larghetto drängte sich der 40-Jährige mit seinem ornamentalen Begleitmaterial leider in marktschreierischer Weise vor die Holzbläser, die das Hauptthema schlicht und innig zu erzählen versuchten.

Thielemann ist als Dirigent oft ein gestrenger Zuchtmeister und ein energischer Antreiber – aber auch einer der genauesten und kundigsten Gestalter. Die Orchestereinleitung und das Zwischenspiel des Kopfsatzes waren einfach unglaublich. Und die Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle musizierten nicht nur mit kammermusikalischer Finesse und Einsatzfreude, sondern oft auch mit einem Lächeln im Gesicht: Da scheint die Chemie mit dem streitbaren Chefdirigenten zu stimmen.

Mit Max Regers spätromantisch-aufgeplusterten Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart kredenzten die Deutschen nach der Pause ein üppiges Gastgeschenk. In der Partitur drängeln sich mehr Stimmen als Menschen in einer überfüllten Straßenbahn. Die Schlussfuge ist ein Beispiel dafür, dass eine hohe handwerkliche Kunstfertigkeit nicht immer zu großer Kunst führt. Man fühlte sich nach der halben Stunde wie nach dem Verzehr von neun Stücken Torte, die hauptsächlich aus Zucker, Schlagobers und Lebensmittelfarbe bestand.

Die derart übersättigten Wiener dankten es den Dresdnern mit müdem Applaus, was den Staatskapellmeister sichtlich wurmte. Nachdem Richard Strauss' Tondichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche in zeichentrickfilmhafter Schnelligkeit abgespult worden war, setzte es mit der siebten Variation einen Reger-Nachschlag als Zugabe. Vielen Dank – aber das hätte doch wirklich nicht sein müssen! (Stefan Ender, 9.6.2016)