Was ist das – noch immer – Besondere an einem Leserbrief?, fragt sich Franzisca Weder.

Foto: privat

Im Mai veröffentlichte die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali einen an sie gerichteten (Hass-)Leserbrief; fast 6.200 Menschen kommentierten dies online. Währenddessen machten in Österreich zahlreiche "Hasspostings" gegen Ingrid Thurnher nach der Präsidentschaftsdebatte im ORF in sozialen Netzwerken die Runde. Diesen raunzigen Online-Kommentaren gegenüber erscheint der klassische Leserbrief in der Zeitung oftmals langweilig, altbacken und bemüht intellektuell.

Doch Achtung! Ganz im Gegensatz zu den Beobachtungen im deutschsprachigen Raum herrscht im angloamerikanischen Raum, zum Beispiel in Australien, eine andere, aktive und themeninitiierende Leserbriefkultur. Interviews aus der eigenen Forschung zeigen, dass oftmals Themen aufgenommen werden, die in Leserbriefen aufgebracht werden. "Manchmal spaziert hier jemand einfach in die Redaktion; da müssen wir uns des Themas annehmen", sagt eine Journalistin einer Regionalzeitung in der Nähe von Adelaide. Auch australische Politikberater und Personen aus der Wirtschaft wissen um das Potenzial von Leserbriefen: "Wir kennen unsere Kritiker – wir müssen deren Äußerungen in Leserbriefen ernst nehmen; sie geben Themen eine Stimme."

Geblendet von all den neuen Blog-, Post- und Retweet-Möglichkeiten beobachten sowohl JournalistInnen als auch Medien- und KommunikationswissenschafterInnen sowohl down under als auch hierzulande, wie "das Internet" als Dialogmedium wächst. Dementsprechend stürzen wir uns auf Blogs, Kommentare und Facebook-Postings als die neuen Foren öffentlicher Diskurse. Doch was ist das – noch immer – Besondere an einem Leserbrief? Was können wir zum Beispiel von Australien lernen?

  1. Weniger Meckern, mehr konstruktive Kritik: Beim "Murray Pioneer", einer australischen Regionalzeitung, werden Leserbriefe als "Artikel" gewertet, die Beurteilung: "keine Beschwerden, relativ hohe Qualität". Auch in Österreich zeigt sich, dass selbst bei durchschnittlich 30 (regional) bis 50 (überregional) Leserbriefen, die pro Tag bei den Zeitungen eingehen, "Schimpfpost eher selten" ist, so die zuständige Redakteurin bei der "Kleinen Zeitung". Von circa 50 Leserbriefen, die die Redaktion per Post oder E-Mail täglich erreichen, seien "maximal zwei wirklich böse oder mit Hasspassagen", bestätigt die Kollegin von den "Salzburger Nachrichten".
  2. Regionale und lokale Bezüge "großer Themen" werden deutlich: Ein befragter australischer Umweltaktivist schreibt zwar regelmäßig für den "Guardian", vermerkt aber: "Das hat für die politischen Aktivitäten hierzulande natürlich keine Bedeutung." Anders auf lokaler und regionaler Ebene: Hier geht es um einen tatsächlichen Dialog, wie eine Leserdialogseite bei der australischen "Sunraysia Daily" zeigt. Gute Beispiele gibt es aber auch in der heimischen Zeitungslandschaft: So richten die "Salzburger Nachrichten" bei besonderen Themen wie zum Beispiel Flüchtlingsbewegungen eine "Debattenseite" ein, um die Leserbriefe entsprechend gewichten zu können.
  3. Einbindung kommunikativer Peers: Leserbriefe sind authentischer, statt Nicknames werden Name und Wohnort mitveröffentlicht, anonyme Leserbriefe gibt es nicht. Damit zeigen Leserbriefe, anders als Online-Kommentare, noch deutlicher, wer die zusätzlichen Akteure sind, die an öffentlicher Kommunikation teilnehmen. "Wir kennen schon unsere lokalen Superkommunikatoren, die muss man mitdenken", sagt eine Journalistin der australischen Regionalzeitung "The Courier". Den "harten Kern an LeserbriefschreiberInnen" kennt man auch bei der "Kleinen Zeitung" – doch wie damit umgehen?

Genau hier möchte ich ansetzen: Verglichen mit Online-Kommentaren und Postings bilden Leserbriefe den öffentlichen Diskurs deutlicher und mit mehr Tiefe ab. Dieser entsteht durch Erzählungen im öffentlichen Raum, die Moralvorstellungen prägen, Problembezüge herstellen und soziale Ordnungen aufbauen, festigen oder verändern.

Die Veröffentlichung von Hasspostings wie bei Hayali oder gar das öffentliche Zurschaustellen von Meckerliesen oder "irren Leserbriefen" wie bei einem Hate Slam wirkt eher kontraproduktiv. Passender erscheint mir das "Ermöglichen" einer tatsächlichen themenbezogenen Debatte an "Ort und Stelle", also zum Beispiel direkt im Politikressort, an der JournalistInnen, ThemenexpertInnen sowie LeserInnen mit ihren Berichten und Erzählungen zusammengeführt werden.

Ein heimischer Vorreiter ist hier derStandard.at , der mit der Einbindung von User Generated Content den Lesern "auf Augenhöhe begegnen möchte" – aber ist online nicht alles viel einfacher? Denn im Allgemeinen erscheinen mir insbesondere Lokal- und Regionalzeitungen in Australien mutiger, nicht nur aber auch weil sie ihre Nische in einem hochkonzentrierten Medienmarkt besser nutzen müssen und wollen. (Franzisca Weder, 14.6.2016)