"Unbestritten" sei mit der Möglichkeit für Kieferregulierungen und ähnlichen Behandlungen auf Kassenkosten eine "soziale Hürde" kleiner geworden, heißt es vom Verband Österreichischer Kieferorthopäden.

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Wien – Die im vergangenen Jahr in Österreich eingeführte Gratis-Zahnspangenbehandlung bei schweren Fehlstellungen hat sich sozial positiv ausgewirkt. Das Konstrukt leide aber an anhaltend an Detailproblemen, kritisierten am Donnerstag Vertreter des Verbandes Österreichischer Kieferorthopäden bei einer Pressekonferenz in Wien.

"Unbestritten" sei mit der Möglichkeit für Kieferregulierungen und ähnlichen Behandlungen auf Kassenkosten eine "soziale Hürde" kleiner geworden, betonte die Generalsekretärin des Verbandes, Silvia Silli. Aber, wie die Expertin hinzufügte: "Es gibt Bundesländer-spezifische Vorgangsweisen." So existiere ein West-Ost-Gefälle bei den anerkannten Leistungen.

Fehlstellung Kategorie vier oder fünf

Im vergangenen Jahr wurde – nach der entsprechenden Ankündigung im Nationalratswahlkampf durch den damaligen Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) – die sogenannte Gratis-Zahnspange Wirklichkeit. Kieferorthopäden beurteilen mit Bildern, Abdrucken, Messdaten etc. den Status bei Kindern bis zum Alter von 18 Jahren nach einer in Großbritannien vor rund 30 Jahren geschaffenen IOTN-Skala (eins bis fünf). Bei Vorliegen einer Zahnfehlstellung der Kategorie vier oder fünf kann der Antrag auf eine Übernahme der Kosten eines Zahnarztes mit dem entsprechenden Kieferorthopädie-Kassenvertrag beantragt werden. Die Krankenkasse muss das dann bewilligen. Schließlich ist der Behandlungserfolg zu dokumentieren.

Kritik: "Starre Grenze" bei Kategorien...

Für Silvia Silli ist zunächst einmal die starre Grenze (IOTN 4 oder 5-Einstufung) ein Knackpunkt: "Die Gruppe 3 ist unser Problem." Während die IOTN-Stufen 1 und 2 eindeutig eine kosmetische Angelegenheit seien, gebe es in der Kategorie 3 Fälle, in denen durchaus auch aus medizinischen Gründen eine Therapie angeraten werden. Während die Krankenkassen in Westösterreich hier Spielräume gelten ließen, sei das in Ostösterreich anders. Das Problem unterschiedlicher Krankenkassenleistungen je nach Krankenkasse – und bei den Gebietskrankenkassen je nach Bundesland – gibt es seit Jahrzehnten. Es schlägt offenbar auch bei der Gratis-Zahnspange durch.

...und beim Alter

Silvia Silli nannte ein Beispiel: "In Großbritannien wird beispielsweise jeder Kreuzbiss als IOTN-Stufe 4 anerkannt. In Österreich werden in bestimmten Bundesländern nur bestimmte Formen von Kreuzbiss anerkannt." Schlecht sei auch die starre Altersgrenze von 18 Jahren für die Kostenübernahme.

Eine Umfrage unter den 336 Mitgliedern des Verbandes der Österreichischen Kieferorthopäden mit 221 Teilnehmern zeigte die Komplexität der Themenlage. 45 Prozent gaben an, einen Kieferorthopädie-Kassenvertrag zu haben. 35 Prozent hielten die Gratis-Zahnspange für einen "totalen Blödsinn", 59 Prozent für eine gute Idee, die aber nicht gut umgesetzt worden sei (fünf Prozent: gute Idee, gut umgesetzt).

Nicht reibungslos für 71 Prozent

71 Prozent der Kieferorthopäden gaben an, die Einführung der Gratis-Zahnspange sei nicht reibungslos verlaufen. 91 Prozent stellten einen erhöhten Bürokratieaufwand fest. Nur 38 Prozent erklärten, die IOTN-Einstufung funktioniere reibungslos. 46 Prozent der Patienten dürften über die Rückerstattungsmöglichkeiten weiterhin nicht ausreichend informiert sein.

Allerdings, 81 Prozent der Vertrags-Kieferorthopäden sagten, sie hätten mehr "Neuanfänger" als Patienten. Bei den Wahl-Kieferorthopäden gaben 50 Prozent an, die Zahl der "Neuanfänger" sei gesunken. Zwischen Juli und Dezember 2015 wurden laut dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger insgesamt 31.656 Leistungen inklusive Beratung und IOTN-Feststellungen durch Zahnärzte abgerechnet. Die Sozialversicherung investierte damit in diesem Zeitraum in die frühkindliche Zahnbehandlung, die Feststellung von Fehlstellungen sowie eine dann folgende notwendige kieferorthopädische Behandlung mit einer festsitzenden Zahnspange bei schweren Fehlstellungen für Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr fast 28 Mio. Euro.

Zahl der Gratis-Zahnspangen unbekannt

Aus der Gesamtzahl der abgerechneten Leistungen geht laut den Kieferorthopäden aber die eigentliche Zahl der neuen Gratis-Zahnspangen nicht hervor. Die Kieferorthopäden hätten sich ehemals auch eine soziale Staffelung der Kostenerstattung gewünscht. (APA, 9.6.2016)