The Wailers: "The Wailing Wailers" (Yep Roc)

cover: yep roc

Bevor Bob Marley in den 1970er-Jahren den Reggae in die Welt trug und ihn gemeinsam mit seinen Kollegen Peter Tosh und Bunny Wailer und zig anderen, in der historischen Wahrnehmung weniger bedankten Künstlern und Produzenten wie Lee "Scratch" Perry und Clement "Sir Coxsone" Dodd zu einem der einflussreichsten Musikstile der Geschichte machte, gab es ab Anfang der 1960er-Jahre schon eine Vorgeschichte.

Die aus dem ländlichen Jamaika mit ihren Familien in die Hauptstadt Kingston zugezogenen Teenager Marley, Tosh und Wailer spielen beim oben erwähnten Studio-One-Besitzer Clement Dodd vor, dieser nimmt sie für sein ebenfalls Studio One betiteltes Label unter Vertrag, und es entstehen bis Mitte der 1960er-Jahre zumindest auf Jamaika enorm erfolgreiche Lieder wie Hoot Nanny Hoot und eine erste Version von Marleys späterem Welthit One Love.

Damals spielen die Wailers noch von US-amerikanischem Rhythm ’n’ Blues und Doo Wop beeinflusste Ska-Musik als grundsätzlich flottere Vorstufe von Reggae.

Zu dieser Zeit wird die Popszene noch ganz allgemein vom Single-Markt dominiert. Die Bands welcher lokalen Musikszene auch immer müssen Rücksicht darauf nehmen, dass das Publikum auf jeden Fall auch hören will, was drüben über dem Meer in den mythisch verklärten USA in den herüber bis nach Jamaika ausstrahlenden Radiostationen gespielt wird. So findet sich auf dieser nachträglich in den 1960er-Jahren zu einem Album namens The Wailing Wailers zusammengestoppelten Singles-Sammlung auch Skurriles wie eine Coverversion von What’s New Pussycat?.

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Bei den meisten Titeln, darunter etwa dem eindeutig von schmalzigem Croonertum beeinflussten I Need You, dem noch als zünftiger Schunkel-Ska gedeuteten One Love, dem Boyband-Schmalz I’m Still Waiting und der frühen Reggae-Vorstufe Rude Boy, ist Bob Marley mit Komponisten-Credits vertreten.

In der Vergangenheit wurde das Album The Wailing Wailers schon mehrmals wiederveröffentlicht. Nun scheint das an und für sich vor allem auf hemdsärmeligen US-amerikanischen Rootsrock spezialisierte Label Yep Roc Music Group über Clement "Sir Coxsone" Dodds Tochter und Rechteinhaberin Carol Dodd Zugang zum Gesamtkatalog von Studio One zu haben. Es dürften in den nächsten Jahren also etliche weitere Perlen wie The Wailing Wailers einer technisch wie grafisch entsprechend liebevollen Wiederveröffentlichung entgegenblicken.

Immerhin wurde jetzt nicht nur das bei diversen Neueditionen verworfene Originalcover restauriert, sondern auch die ursprüngliche Songreihenfolge.

Aufgrund diverser Musikerabgänge verlassen die Wailers bereits 1965 Studio One und wechseln für kurze Zeit zum späteren Dub- und Outer-Space-Explorer Lee "Scratch" Perry und dessen Upsetter-Records-Label. Der musikalische Stil wechselt von Ska zur Zwischenstufe Rocksteady. Anschließend folgt die Begründung des sogenannten Roots Reggae und 1972 ein Vertrag mit Chris Blackwells Label Island Records. Der macht Bob Marley zum eindeutigen Frontmann und die sich wieder einmal umformiert habenden Wailers zur im Hintergrund werkenden Begleitband. Der Rest ist ab 1973 und dem Album Catch a Fire und Songs wie Get Up, Stand Up bekannt.

Wer sich etwas Gutes tun will, sollte sich übrigens Bunny Wailers exzellentes Soloalbum Blackheart Man von 1976 zulegen. Etwas Besseres ist im Roots Reggae kaum produziert worden. (schach)

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Wolfgang Puschnig: "Faces and Stories" (Universal)

cover: universal

Erinnerungen an wichtige Vertreter der Jazzgeschichte Österreichs ergeben sich ganz selbstverständlich, wenn der Kärntner Saxofonist Wolfgang Puschnig anlässlich seines 60ers – in Form einer Duoeinspielung – Rückschau hält. Konkret: wenn er alte Aufnahmen mit aktuellen Begegnungen mit Kollegen mixt, die er eingeladen hat, um in dieser intimen Form des Muszierens, dem Duo, Gedanken auszutauschen.

Faces and Stories besteht aus zwei Einspielungen. Zum einen wurden einige Zwiegespräche Puschnigs aus dem Jahre 1988 wiederveröffentlicht. Auf Pieces of the Dream traf der damals 32-Jährige – er war noch wichtiger Teil des international reüssierenden und auch nicht mehr existenten Vienna Art Orchestra – etwa die Pianistin und Komponistin Carla Bley und spazierte mit ihr witzig durch melodiöse heimische Folklore. Auch der große Tenorsaxofonist Hans Koller, eine zentrale Figur des Modern Jazz in Europa war damals dabei, natürlich auch Gitarrist Harry Pepl. Und selbstredend auch die ausdrucksstarke Sängerin Linda Sharrock, mit der Puschnig über viele Jahre hinweg markante Projekte umsetzte.

Das war schon damals ein Beleg für Puschnigs herausragende Stellung in der Szene und für dessen undogmatische Haltung, seine Offenheit und die Lust, sich Inspiration aus diversesten Quellen zu holen. Als Instrumentalist studierte er natürlich Leute wie Eric Dolphy, John Coltrane und auch Bebop-Hitzkopf Charlie Parker. Aber Studieren war natürlich nur die Zwischenstufe zum eigenen Stil, der mit den Jahren an Tiefe und Gelassenheit gewann. Im Standard meinte Puschnig vor Jahren: "Als ich so dreißig war, habe ich technisch sicher besser gespielt als jetzt, in Summe virtuoser. Aber es gab mir doch zu denken: Da hört man einen Sänger oder Blues-Leute, die geben gerade einmal fünf Töne von sich und alle liegen flach." So ging es also später grundsätzlich eher Richtung Konzentration und Verknappung, um die Suche nach dem Wesentlichen des Ausdrucks, das ohne überflüssigen Notenverbrauch ans Ziel kam. Kein leichtes Unterfangen. Das Interessante sei, dass "man den besonderen Musizieraugenblick nicht bewusst herbeiführen kann. Kontrollieren nützt nichts. Sobald du eingreifst, ist alles weg. Mit der Zeit lernt man, sich der Situation hinzugeben. Die besten Momente waren da, wenn ich als Ausübender gewissermaßen nicht mehr vorhanden war."

Hört man die Duos nach diesen Kriterien durch, entfaltet sich die Erkenntnis, dass konzentriertes, pointiertes Muszieren zuhauf entstand. Das Duo mit Bassist Jamaaladeen Tacuma definiert die Bluesform funkig und zeigt den Flötisten Puschnig in Hochform. Zusammen mit Vokalistin Ali Gaggl geht es in balladeske Bereiche, hinter denen ein Gewirr an Tönen das Duo interessant bedrängt. Wilder tönt Puschnig teils im Duo mit dem koreanischen Perkussionisten Kim Duk Soo. Aber auch hier bricht diese sangliche Art der Improvisation durch, die Puschnigs Spiel so unverwechselbar und magisch-poetisch werden lässt. Das Stück Out Of Some where (mit Cellistin Asja Valčić) dominiert wiederum Sanftheit, während es mit Mamadou Diabaté auf dem Balafon heiter weltmusikalisch zugeht. Intensive Dialoge vernimmt man mit dem so impulsiven wie sensiblen Drummer Uli Soyka; delikat folkloristisch geht es im Duo mit Geigerin und Vokalistin Iva Bittová zu. Besonders pointiert auch das Zwie gespräch mit Geiger Mark Feldman, kontemplativ schließlich John Coltranes Naima mit Pianist Uli Scherer. Die Aufzählung musste sein – es sind schließlich insgesamt 25 Duos geworden. (toš, Rondo, 10.6.2016)