Ein Wahlkampfauftritt von Podomos-Chef Pablo Iglesias.

Foto: AFP/Jordan

Die belgische Politiktheoretikerin Chantal Mouffe, Ikone der neuen Linken, war diese Woche zu Besuch in Wien. In einer etwas zähen Festwochen-Podiumsdiskussion mit dem französischen Islamwissenschafter Gilles Kepel legte sie ihre Erklärung für den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa dar.

Die traditionelle Sozialdemokratie habe die neoliberale Globalisierungsdoktrin übernommen und dadurch die alten politischen Fronten verwischt – eine "postpolitische Situation", wie es Mouffe nennt. All jene, die sich als Opfer der Globalisierung sehen, fühlten sich dadurch von FPÖ, Front National und AfD besser vertreten als von den alten Arbeiterparteien.

Ruf nach Linkspopulismus

Mouffes Lösung für dieses schon von vielen beschriebene Phänomen: neue linkspopulistische Bewegungen, die den Unzufriedenen und Ausgebeuteten wieder eine Stimme geben können. Mit den Wahlerfolgen von Syriza in Griechenland und dem Auftrieb für Podemos in Spanien hat dieses Denken bereits Früchte getragen.

Doch um den Rechtspopulisten auch langfristig das Wasser abzugraben, müssen diese Parteibewegungen nicht nur Massen mobilisieren, sondern auch regieren – und dann in der Lage sein, tatsächlich etwas zu verändern.

Tsipras hatte die Wahl

In Griechenland ist Syriza nur der erste Schritt gelungen. Alexis Tsipras gewann zwar zwei Wahlen, musste sich dann aber genauso dem Spardiktat der Eurozone beugen wie die Vorgängerregierungen. Syriza-Vertreter schieben die Schuld daran zwar den Europartnern zu, aber das stimmt nur zum Teil. Denn Griechenland hätte vor einem Jahr den Euro verlassen und sich damit von der globalisierten Wirtschaft abkoppeln können. Es hätte bloß einen sehr hohen finanziellen Preis dafür gezahlt.

Vor dem gleichen Dilemma stand eine Linksbewegung schon viel früher: Die französische Regierung des sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand musste sich 1983 entscheiden, das europäische Währungssystem zu verlassen oder ihre linksnationalistische Wirtschaftspolitik mit hohen Staatsausgaben und Verstaatlichungen aufzugeben. Sie entschied sich für das Letztere – und ebnete damit dem Euro den Weg.

Podemos machte Land unregierbar

In Spanien ist es Podemos nach dem Wahlerfolg im Dezember nur gelungen, das Land unregierbar zu machen, weil ihr Chef Pablo Iglesias die Bildung einer Mitte-links-Regierung blockierte. Die Chancen für eine reine Linksregierung stehen nach dem nächsten Urnengang am 26. Juni nicht viel besser.

Im benachbarten Portugal hat sich zwar eine solche Linkskoalition gebildet, aber auch sie kann nur überleben, wenn sie die Sparpolitik der Eurozone fortführt.

Wie Linkspopulismus ein Land aus den Zwängen (oder Fängen) der neoliberalen Globalisierung befreien kann, ohne es in eine noch viel tiefere Wirtschaftskrise zu führen, wurde noch nicht gezeigt.

Hat die Sozialdemokratie doch recht?

Vielleicht hat die von Mouffe und anderen so verachtete Sozialdemokratie mit ihrer Kompromissbereitschaft doch recht. So groß die Herausforderungen der Globalisierung und der technologischen Revolutionen auch sind, der einzige Ausweg ist, diese Entwicklungen zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

Das geht nur über die Mühen der Ebene, von einer besseren Bildungspolitik über eine geschickte Wachstumsförderung bis zu einem ständigen Streben nach sozialem Ausgleich, ohne dabei den Wirtschaftsstandort zu beschädigen, den man ja für die Schaffung von Arbeitsplätzen benötigt.

Es gibt keine Alternative

Neu dazugekommen sind eine effektive Integrationspolitik, um den wirklich Schwächsten in der Gesellschaft zu helfen, und eine Umweltpolitik, die nicht ständig vor Interessenvertretungen in die Knie geht. All das ist schwierig und nicht unbedingt populär, aber es gibt dazu keine Alternative – so verhasst dieser Begriff bei vielen Linken auch ist.

Mit der von Mouffe geforderten "agonistischen Politik" gegen ausgewählte Feindbilder, der auch der gescheiterte US-Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders folgt, kann man zwar viele frustrierte Wähler begeistern, wird aber ihre Lage nicht verbessern – im Gegenteil.

Und beim Hetzen und Irreführen sind die Rechtspopulisten allemal geschickter. Linkspopulisten mögen kurzfristig deren Aufstieg bremsen, werden sie aber längerfristig nicht ersetzen. Sie versprechen genauso einfache Lösungen für komplexe Probleme. Und diese Versprechen sind nicht einlösbar. (Eric Frey, 9.6.2016)