Es ist vollbracht. Nach mehr als einem Jahr eines mitunter doch schrillen Vorwahlkampfs kennen Amerika und die Welt nun endlich jene zwei Kandidaten, die von den maßgeblichen Parteien in das Rennen um das Weiße Haus geschickt werden: Hillary Clinton für die Demokraten und Donald Trump für die Republikanische Partei.

Das sind de facto die einzigen Antworten, die in einer an Fragen reichen Primary-Season explizit zu hören waren. Unterschwellig dagegen klang bei diesen Vorwahlen an, worüber keiner der politischen Bewerber befriedigend Auskunft zu erteilen vermochte: die neuen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten – oder, wenn man so will, die neuen sozialen Fragen in Amerika.

Nach der Finanzkrise haben die USA nie mehr jenes Wirtschaftswachstum erreicht, das es braucht, um einen Großteil einer stetig wachsenden Bevölkerung zu Auskommen und Aufstiegsfantasien zu verhelfen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Der amerikanische Traum wird für viele illusionär, eine Art amerikanischer Albtraum dagegen gewinnt an Realität. Junge, auch gut gebildete Amerikaner bekommen keine Jobs mehr, die es ihnen erlauben würden, die Schulden aus ihrer College-Zeit abzutragen und in einigermaßen sicheren Verhältnissen Familien zu gründen. Ältere dagegen fürchten sich vor dem sozialen Abstieg. Erstere misstrauen Clinton, Zweitere wählen in Scharen Trump – und beide sind Ausdruck einer Systemkrise, ein Aufzeigen eines ratlosen Elektorats.

Dabei beschreibt diese Diagnose – und das spüren die Amerikaner – gerade einmal den Anfang einer unheilvollen Entwicklung. Mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung fallen immer mehr Jobs weg, die auch durch die wachsende IT-Wirtschaft nicht kompensiert werden können. Wer etwa heute per Code am Handy in einem Hotel im Silicon Valley eincheckt, sieht über Tage hinweg als einzigen Menschen oft nur eine unterbezahlte mexikanische Putzfrau.

An der Stanford University zerbrechen sich Forscher ihre klugen Köpfe über der Frage, wie viel Prekariat und Arbeitslosigkeit eine Gesellschaft aushält, bevor sie in die Instabilität kippt – in den USA sollen es 30 Prozent sein.

Beinahe folgerichtig entdecken währenddessen ausgerechnet libertäre Sozialdarwinisten wie die Bosse der Digitalisierungsindustrie in Palo Alto plötzlich ihr Herz für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sie wissen: Chaos ist schlecht fürs Geschäft. Besser, man versorgt ungebrauchte und unterforderte Massen leidlich, bevor diese – womöglich noch über Social Media – auf ungemütliche Gedanken kommen. Die Geschehnisse in Ferguson lassen sich als bloße Rassenkrawalle lesen – oder eben auch als Aufstand jener, die niemals die Chance haben werden, sozial aufzusteigen.

Die herkömmliche amerikanische Politik ist weit davon entfernt, öffentlich über solche Szenarien zu reflektieren, geschweige denn Lösungsansätze dafür zu entwickeln. Barack Obama ist noch mit dem (gescheiterten) Vorsatz angetreten, das "dysfunktionale System" zu reformieren. Clinton und Trump dagegen finden nicht einmal weihevolle Worte für die notwendige Reform. Reisende brachten zuletzt folgende Stimmung aus Kansas, dem Herzen der USA, zurück: Beide Kandidaten sind korrupt. Clinton hatten wir schon, versuchen wir es halt mit dem anderen. Bad news, America. (Christoph Prantner, 8.6.2016)