Die Schieflage bei der globalen Vermögensverteilung nimmt stetig zu. Die Dollarmillionäre dieser Erde, allen voran in den USA, Europa und Asien, verfügen über die Hälfte des gesamten Geld-, Aktien- und Anleihenvermögens. Tendenz steigend, stellen die Berater der Boston Consulting Group fest. Aber ergibt sich aus solchen Studien ein Handlungsauftrag für Politiker und Bürger?

Denn richtig ist ja auch, dass die globale Armut in den vergangenen Jahren gesunken ist. In China und anderen Schwellenländern profitieren hunderte Millionen Menschen von höheren Einkommen und damit von einem höheren Lebensstandard. Die Kluft bei den Vermögen wächst, aber heute geht es mehr Menschen auf dem Planeten besser als je zuvor: Das ist ein Paradoxon unserer Gegenwart.

Wer seinen moralischen Kompass nicht verloren hat, muss sich durch Studien wie jene von Boston Consulting aufgeschreckt fühlen. Denn globale Solidarität ist trotz Erfolgen im Kampf gegen Armut gefragter denn je. Daran erinnern uns die Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt nach Europa kamen.

Die Menschen fliehen nicht nur wie die Syrer vor Krieg. Armut, Perspektivenlosigkeit und mehr und mehr ökologische Katastrophen führen dazu, dass Menschen aufbrechen und woanders versuchen, ein besseres Leben zu finden. Solidarität muss nun nicht bedeuten, diese Heimatlosen bei sich aufzunehmen. Man kann so wie viele der Ansicht sein, dass Europas Gesellschaften vom Flüchtlingsstrom kulturell oder sozial überfordert werden und die Grenzen deshalb weitgehend geschlossen bleiben müssen.

Aber tatenlos zuzusehen ist keine moralisch vertretbare Option. Eine Grenzschließung muss daher mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtursachen verbunden sein. Die reiche Welt muss mehr geben. Die Studie sollte daran erinnern, dass genug da ist.

Die Eckpfeiler eines Hilfsplans könnten aus mehr sozialer Unterstützung und wirtschaftlicher Annäherung bestehen, ein Mix, der in Europa nach 1945 gut funktioniert hat. Konkret heißt das, die Investitionen und Entwicklungsgelder für Afrika und den Nahen Osten gehören erhöht. Nur sechs EU-Länder erfüllen den UN-Zielwert, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe auszugeben. Österreich ist davon weit entfernt. Zugleich müssten Industrieländer ihre Märkte öffnen und Handelspakte schließen, die ärmeren Ländern Vorteile bieten. Die Frage lautet: Zu wie viel Solidarität sind wir bereit? (András Szigetvari, 8.6.2016)