Mona S., Angeklagte im "Terrorprozess", weigerte sich vor Gericht, den Schleier von ihrem Gesicht zu nehmen. Sie wurde daraufhin von der Verhandlung ausgeschlossen – und ihr Fall zum Präzedenzfall. S. erhielt eine 22-monatige Haftstrafe wegen terroristischer Propaganda.

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Wien – Es war im Jahr 2008, als Staat und Religion in einem österreichischen Gerichtssaal zum ersten Mal medienwirksam kollidierten: Mona S., Angeklagte im sogenannten Terrorprozess, der gegen sie und ihren Mann geführt wurde, weigerte sich, ohne Gesichtsschleier einvernommen zu werden.

Im Wiener Straflandesgericht seien Männer anwesend, argumentierte die damals 22-Jährige. Ihr Glaube gebiete deshalb, sich zu verhüllen. Den Vorschlag der vorsitzenden Richterin, ihren Niqab gegen ein Kopftuch zu ersetzen, das ihr Gesicht freilegt, schlug die junge Frau aus: "Im Koran steht kein einziges Mal Kopftuch! Mein Glauben besagt Schleier", gab sie zu Protokoll.

Der Fall Mona S. war richtungsweisend. Die Mitangeklagte wurde wegen ihres "ungebührlichen Benehmens" von der Verhandlung ausgeschlossen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) wird die Vorgehensweise der Richter später bestätigen. Religiöse Bräuche haben in einem Gerichtssaal einfach nichts verloren, hatte die Vorsitzende im Prozess erklärt.

Kreuze und "Schwurgarnitur"

Nimmt man es genau, ist das nicht ganz richtig. Die staatliche Formel zur Vereidigung von Geschworenen beinhaltet den Beisatz "so wahr mir Gott helfe" – eine Vorschrift aus dem 19. Jahrhundert. Bis heute gibt es Richterpulte, auf denen eine sogenannte "Schwurgarnitur" angeschraubt ist, also zwei Kerzen mit einem Kreuz dazwischen. Vorhanden ist eine solche immer, die meisten Vorsitzenden verräumen sie allerdings, wenn möglich.

"Es mutete schon etwas seltsam an, wenn man einen Fall verhandelt, in dem Parteien jüdischen und muslimischen Glaubens betroffen sind, und selbst sitzt man hinter einem Kreuz", sagt Sabine Matejka, Vizepräsidentin der österreichischen Richtervereinigung. Die Standesvertretung fordert Klarheit: Wie viel religiöse Symbolik verträgt ein Gerichtssaal im 21. Jahrhundert? Und vor allem: In welchem Ausmaß darf ein Richter seine persönliche Weltanschauung zeigen?

Diese Fragen sind aktuell ungeklärt. Es gibt in Österreich keine Richterin, die ein Kopftuch trägt. "Wir haben aber immer wieder Bewerber mit Kippa oder Kopftuch und sind denen eine Antwort schuldig, ob sie diese Bedeckungen im Amt tragen dürften oder nicht", sagt sie. Die Mehrheit der Richter vertrete die Meinung: Symbole, die Hinweise auf Weltanschauungen geben, seien der Neutralität, die der Beruf verlangt, abträglich.

Doch wo setzt man die Grenzen? Wie geht man mit Richtern um, die einen Schmiss im Gesicht haben? Wäre ein Ehering schon Ausdruck eines Weltbildes? "Wir stehen in dieser Diskussion am Anfang, aber es ist wichtig, dass sie nun frei von Ressentiments zu Ende geführt wird", sagt Matejka.

Im Justizministerium wurde nun eine Arbeitsgruppe zum Thema "Religiöse Symbole" eingerichtet. Bis Herbst wollen die Experten zu einem Ergebnis kommen, wie man mit dem Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und dem Neutralitätsgebot des Staates künftig umgehen will.

Juliane Kokott, Generalanwältin vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), ließ kürzlich mit einer Stellungnahme aufhorchen, die in eine ähnliche Kerbe schlägt: Wer sich weigert, sein Kopftuch aus religiösen Gründen am Arbeitsplatz abzulegen, dem kann unter bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden, sagt sie. Nämlich dann, wenn in einem Betrieb das Zeigen von politischen, philosophischen und religiösen Symbolen grundsätzlich untersagt ist. Das Urteil des EuGH steht zwar noch aus, zumeist folgen die Richter jedoch der Einschätzung der Generalanwälte.

"Wenn eine solche Regelung in Privatfirmen zulässig ist, sollte das umso mehr auch für die Justiz gelten", sagt Maria Wittmann-Tiwald, Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte der Richtervereinigung. Ein Verbot weltanschaulicher Symbole würde die Richter umgekehrt auch schützen: "Derzeit könnten wir auch plötzlich verpflichtet werden, patriotische Abzeichen zu tragen. Es geht hier nicht nur um das Kopftuch."

"Weltanschauungsfreiheit"

Österreich sei im europäischen Vergleich ein Staat mit einem "traditionell sehr wohlwollendem Verhältnis" zur institutionalisierten Religion, sagt Andreas Müller, Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck. "Wenn auch weniger als noch vor zwanzig Jahren, es gibt bis heute ein Bias zugunsten der katholischen Kirche."

Er hält ein verpflichtendes Kreuz in Gerichtssälen für nicht mehr zu rechtfertigen: "Die privilegierte Rolle einer Religion bei der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt ist verfassungsrechtlich kaum zu retten", sagt er.

Müller weist auch auf die Forderung mancher Agnostiker hin, die die Religionsfreiheit zugunsten einer "Weltanschauungsfreiheit" gänzlich abschaffen wollen: "Nimmt man es ernst, dass der Staat in einer pluralistischen Gesellschaft die Rolle eines neutralen Schiedsrichters einnehmen soll, warum sollte man allgemeine Weltbilder überhaupt von religiösen unterscheiden", fragt er. "Doch davon sind wir noch weit entfernt. Das sind Fantasien einer anderen juristischen Welt." (Katharina Mittelstaedt, 10.6.2016)