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Der russische Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow sieht fallende Popularitätswerte für Putins Partei und hofft auf eine Protestwahl am 18. September.

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Die Duma-Wahlen 2016 wurden vom Dezember auf den September vorverschoben.

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STANDARD: Warum nehmen Sie an der Duma-Wahl teil?

Ryschkow: Weil das meine Wähler in der Region Altai von mir erwarten. Ich bin vier Mal für das Gebiet in die Duma eingezogen. Seit 2007 hatte ich keine Möglichkeit, mich einer Wahl zu stellen, weil das Gesetz geändert, Direktmandate liquidiert und meine Partei, die Republikanische Partei (RPR-Parnas), verboten wurde.

STANDARD: Warum sollten die Russen Sie wählen? Sind Sie anders?

Ryschkow: Ich sehe Politik anders. Heute kassiert die Regierung 65 Prozent der Steuern. Nur 35 Prozent bleiben in den Regionen. Das führt dazu, dass die Regierung neue Kosmodrome, riesige Militärausgaben, die Fußball-WM und Olympische Spiele finanziert, während in den Regionen das Geld für Schulen, Krankenhäuser und Straßen fehlt. Im Altai verdienen Lehrer im Durchschnitt weniger als 200 Euro. Ich fordere mehr Gerechtigkeit durch weniger Ausgaben für Militär, Polizei und Megaprojekte und eine größere Umverteilung an die Regionen.

STANDARD: Spüren Sie Unterstützung der Menschen im Altai?

Ryschkow: Nicht nur ich, sondern auch die Obrigkeit. Sie tut alles, um meine Treffen mit Wählern zu verhindern. Räume werden gesperrt, Wähler eingeschüchtert. Einmal wurden nach einem Treffen alle Menschen, die ich getroffen habe, angerufen und bedroht.

STANDARD: Laut Umfragen liegt die Regierungspartei Einiges Russland bei 48 Prozent.

Ryschkow: Die Lage ändert sich schnell. Das Rating von Einiges Russland fällt, die Proteststimmung steigt. Es ist möglich, dass die Abstimmung zur Protestwahl wird und die Opposition stärker vertreten sein wird. Wir wissen aber nicht, wie massiv die Fälschungen sein werden. Ich denke, es wird welche geben. Wir haben das ja schon bei den Vorwahlen von Einiges Russland gesehen.

STANDARD: Und wie sehen Sie die Vorwahlen der Opposition?

Ryschkow: Als Fiasko. Die Koalition ist zerbrochen, und die Primaries haben nicht stattgefunden. Ein absoluter Reinfall.

STANDARD: Wovon zeugt die Uneinigkeit der Oppositionsführer?

Ryschkow: Ich kann nicht sagen, dass ich nicht verhandlungsbereit bin. Ich habe eine Übereinkunft mit der Partei Jabloko und mit Grigori Jawlinski erzielt und gehe für sie ins Rennen. Was die anderen betrifft, so fehlt ihnen politische Erfahrung und politisches Verantwortungsbewusstsein, um zu verstehen, dass jetzt eine Einheitsliste mit gemeinsamen Kandidaten nötig ist, um zu gewinnen.

STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Oppositionspolitikern Alexej Nawalny und Michail Kassjanow?

Ryschkow: Da gibt es kein Verhältnis. Ich stehe in keinerlei Kontakt zu ihnen.

STANDARD: Warum gelingt es seit 15 Jahren nicht, eine einheitliche liberale Partei aufzustellen?

Ryschkow: Das liegt am niedrigen politischen Niveau der Leute, die involviert sind.

STANDARD: Zählen Sie sich dazu?

Ryschkow: Nur im geringen Maße, denn ich habe immer eine Einigung versucht. RPR-Parnas war mein Bündnis, die Union mit Jabloko ist auch meine Initiative. Ich bin also nicht schuld an der Zersplitterung. Ohne Nemzow und Kassjanow hätten wir jetzt noch eine gemeinsame Partei.

STANDARD: Es heißt, die Opposition existiere nur innerhalb des urbanen Moskauer Gartenrings ...

Ryschkow: Das stimmt leider. Die demokratische Opposition hat in den vergangenen 25 Jahren keine Struktur, keine Parteifilialen aufgebaut im Land. Außerdem redet sie über Dinge, die die Menschen nicht interessieren. Krim, Syrien und die Beziehungen zu Europa sind wichtig – aber in Sibirien sind die Massenarmut, fehlende Arbeitsplätze, schlechte Straßen und die Lage in den Krankenhäusern viel wichtiger. Die Menschen wollen hören, wie die Demokraten diese Probleme lösen. Der Opposition fehlt es an Kommunikation und Struktur.

STANDARD: Wer oder was kann Putin davon abhalten, 2018 erneut Präsident zu werden?

Ryschkow: Die Fortsetzung der Wirtschaftskrise und die Verschlechterung des Lebensstandards können zu einer Verringerung seiner Popularität führen.

STANDARD: Was ist denn Russlands größtes Problem?

Ryschkow: Die schrumpfende Wirtschaft. Deren größtes Problem ist das System Putin, das alle in Angst und Schrecken hält. Die Unternehmer wissen nicht: Gibt es Krieg, bleiben die Sanktionen, werden die Steuern erhöht oder bleiben sie stabil? Und am wichtigsten: Kommen die Tschekisten (Geheimdienstler, Anmerkung), um ihnen die Firma abzuknöpfen? Werden sie morgen verhaftet? Menschen müssen frei sein; Unternehmer müssen Geschäfte machen können, ohne dass sich jemand einmischt; Lehrer unterrichten, ohne bevormundet zu werden. Solange eine Atmosphäre der Angst, Repressionen und Unsicherheit herrscht, wird sich die Wirtschaft nicht entwickeln. (André Ballin, 8.6.2016)