Ein heftiger Wind fegt vom Atlantik durch die Wüste Namib in Richtung Diamantensperrgebiet. Feiner Sand dringt durch Fenster und Türen der wildwestartigen Kolonistenhäuser von Kolmanskuppe. In den Stuben und Dielen türmen sich bereits die Dünen. Niemand lebt mehr in dieser Siedlung im Süden Namibias. Außer vielleicht ein paar Geckos und Skorpione.

Ein Trupp Touristen stapft einer jungen Fremdenführerin in eine restaurierte Vorzeigestube hinterher. "Und hier sehen Sie, wie so ein deutscher Diamantengräber damals gelebt hat." Feldbett, Kommode, Nacht- und Essgeschirr, Kaiser Wilhelm in Öl – Puppenhausromantik in Südwestafrika. "Bitte folgen Sie mir nun in die Turnhalle!" Reck, Pferd und Barren stehen da, als hätten sich eben noch Soldaten der kaiserlichen Schutztruppe mit Klimmzügen für den nächsten Aufstand gerüstet. Auf Kaisers Kegelbahn darf jeder mal in die Vollen werfen.

Kolmanskuppe: eine Geister- und Museumsstadt
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Kolmanskuppe, die einstige deutsche Diamantengräbersiedlung in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, ist eine Geister- und Museumsstadt. Während der Endphase des Deutschen Kaiserreichs war der Ort voller Leben. Zur vorletzten Jahrhundertwende lag Europa im Kolonialfieber. Deutschland hatte es auf Südwestafrika abgesehen. 1883 legte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz in der Bucht von Angra Pequena an, dem heutigen Lüderitz. Sein Vertrauter Heinrich Vogelsang schwatzte dem Nama-Häuptling Joseph Fredericks das Land im Umkreis von fünf Meilen um die Bucht ab. Preis: 10.000 Reichsmark und 260 Gewehre.

Diamantenkönig von Deutsch-Südwestafrika

Weitere Landkäufe folgten. 1884 die Berliner Konferenz: Ganz Südwestafrika wurde deutsches Schutzgebiet. Der junge Kaiser Wilhelm II. entsandte die Schutztruppe. 1908 wurde die Bahnstrecke von Lüderitzbucht nach Keetmanshoop fertiggestellt. Der thüringische Eisenbahnbeamte August Stauch kontrollierte den Gleisabschnitt zwischen Lüderitz und der Station Grasplatz.

Eines der wildwestartigen Kolonistenhäuser
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Am 14. April 1908 kam der Arbeiter Zacharias Lewala mit einem Fund zu Stauch. Der versuchte mit dem Stein am Glas seiner Taschenuhr zu kratzen. Es gelang, der Stein war härter als Glas: ein Diamant! Stauch hielt den Fund erst geheim, kaufte die Schürfrechte für das Gelände, steckte Claims ab und stellte Kontraktarbeiter ein. Bis Ende 1908 waren 39.000 Karat Rohdiamanten ausgebuddelt. Stauch wurde zum Diamantenkönig von Deutsch-Südwestafrika.

Boomende Wüstenoase

Die Reichsregierung setzte dem Treiben ein jähes Ende. Bereits am 22. September 1908 erklärte sie einen hundert Kilometer breiten Küstenstreifen vom 26. Breitengrad bis zur südafrikanischen Grenze zum Diamantensperrgebiet. Fortan verdiente das Kaiserreich. 1910 war der fünfzehn Kilometer von Lüderitz entfernte Ort bereits eine boomende Wüstenoase, das Pro-Kopf-Einkommen der Kleinstadt das höchste Afrikas.

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Die verwaiste Eisenbahnstation "Grasplatz" in der Wüste Namib. Seit 1956 ist die ehemalige deutsche Siedlung Kolmanskuppe eine Geisterstadt.
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Die deutschen Kolonisten von Kolmanskuppe lebten komfortabel. Häuser wurden im Wüstensand hochgezogen, für die Chefs Jugendstilvillen mit Giebeldächern und verglasten Veranden. Es gab eine Schule mit Turnhalle und Ballsaal, Fußballplatz, Krankenhaus, Postamt, Bäckerei, Fleischhauer, Greißler, Restaurants, eine Blockeis-Anlage. Strom, Wasser und Unterkunft waren umsonst.

Gezahlt wurde in Karat

In der Schule lernten bis zu vierundvierzig Kinder das Einmaleins und lasen Schiller. Der Pfarrer kam mit dem Motorrad aus Lüderitzbucht zum Gottesdienst, der im Klassenzimmer gefeiert wurde. Die weniger frommen Kolonisten fuhren sonntags nach Lüderitzbucht. So manches Monatssalär verflüssigte sich dort in der Bar von Kapps Hotel. Gezahlt wurde gerne in Karat.

Bis zu 400 deutsche Siedler lebten in Kolmanskuppe – trotz des permanenten Wüstenwinds, der mit bis zu hundert Sachen durch die Namib fegt. Metallschilde schützten die Vorgärten vor Verwehungen. Die fast 1000 schwarzen Kontraktarbeiter, die Schürfarbeit verrichteten, waren außerhalb des Orts in Sammelunterkünften untergebracht.

Jede Schraube, jedes Bier

Was in Deutsch-Südwest fehlte, brachten Ozeanriesen der Woermann-Linie – vom Bauholz bis zum Grammophon. Der Deutsch-Südwester Willi Bartens, Jahrgang 1919, der in Kolmanskuppe aufgewachsen war und kürzlich verstorben ist, erinnerte sich: "Lüderitzbucht hatte in den 1920er-Jahren seine Blütezeit. Alles, was in Kolmanskuppe verbaut wurde, jede Eisenbahnschiene, jede Schraube, kam aus Deutschland. Sogar das Bier, jede Flasche in eine Strohhülse verpackt."

Die "Südwester-Deutschen" waren deshalb besonders treue Patrioten, erst recht, nachdem die Schutztruppe 1915 gegen die britisch-südafrikanischen Verbände die Waffen strecken musste. Zur selben Zeit marschierte der junge Bartens mit seinen Brüdern für das Reichssportabzeichen durch die Namib, während der Vater, der werktags Hochspannungsleitungen reparierte, Antilopen schoss. Mittlerweile hatte die südafrikanische Consolidated Diamond Mines (CDM) das Abbaugebiet übernommen.

Feiner Sand dringt durch Fenster und Türen der wildwestartigen Kolonistenhäuser von Kolmanskuppe. In den Stuben und Dielen türmen sich bereits die Dünen. Niemand lebt mehr in dieser Siedlung im Süden Namibias.
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Schon 1930 wurde die Mine von Kolmanskuppe geschlossen, weil die Vorkommen um Lüderitz nahezu erschöpft waren. Die Magazine und Werkstätten aber wurden noch genutzt. 1939 baute CDM weiter Stellen ab. Die Familie Bartens zog nach Windhoek. Kolmanskuppe wurde zur Geisterstadt. 1956 gingen die letzten sieben Familien fort.

Die Dünen der Namib nahmen den Ort in Besitz. Souvenirjäger plünderten, was nicht niet- und nagelfest war. 1980 begann CDM einzelne Häuser wieder instandzusetzen und Originalmöbel aus Privatbesitz zurückzukaufen. Heute ist der Ort ein Museum mit 30.000 Besuchern im Jahr. Touristen suchen eine im Sand untergegangene Ära: die Kolonialzeit Deutsch-Südwestafrikas, die 1915 endete. (Kai Althoetmar, RONDO, 10.6.2016)