Hochwasser wie hier zuletzt in Bayern verursachen enorme Schäden. Wissenschafter versuchen Wetter- und Klimarisiken besser kalkulierbar machen.

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STANDARD: Wie blickt man aus der Perspektive des Risikomanagements auf den Klimawandel?

Prettenthaler: Wir brauchen neue Fertigkeiten, um uns widerstandsfähig gegenüber den Veränderungen durch den Klimawandel zu machen. An dieser Klimaresilienz müssen wir auch in Österreich intensiv arbeiten. Das Land hat europaweit nach Tschechien das zweithöchste Hochwasserrisiko, wenn man die bisher betroffene Gebäudesubstanz als Maßstab dafür nimmt. Um verschiedene Wetter- und Klimarisiken besser bewerten zu können, brauchen wir eine gute Datenbasis. Wir arbeiten gerade am Aufbau einer österreichischen Schadensdatenbank, in der alle Infrastrukturschäden genau abgebildet werden. Damit soll das Risikobewusstsein gestärkt und die Planung von Neubauten und jene des Hochwasserschutzes verbessert werden.

STANDARD: Wie muss unternehmerische Tätigkeit aussehen, die die Veränderungen durch den Klimawandel stärker in Betracht zieht?

Prettenthaler: Jeder Unternehmer hat eine Wetterwette laufen. Sein Geschäftsmodell funktioniert bei einem bestimmten Wetter am besten. Vom Wetter hängt ab, wie viele Leute an einem Tag ein bestimmtes Produkt kaufen. Einzelhandel, Gastronomie, Medien, Kulturbetrieb – alles Bereiche, die wetterabhängig sind. Wir bieten an, dieses Wetterrisiko zu bewerten und erstellen Umsatzprognosen für die nächsten zehn Tage. Darüber hinaus erarbeiten wir Analysen, wie ein bestimmtes Geschäftsmodell unter Klimawandelbedingungen funktionieren wird. Ein Beispiel dafür wäre eine Untersuchung, wie wirtschaftlich ein Skigebiet im Rahmen verschiedener Klimaszenarien geführt werden kann.

STANDARD: Wie gehen Sie da vor?

Prettenthaler: In einem Projekt ging es um den möglichen Ausbau eines Skigebiets in der Steiermark. Die Frage war, ob man in Beschneiung, einen zusätzlichen Sessellift und in einen Sommerbetrieb mit einer Downhill-Bikestrecke investieren soll. Nach der Untersuchung aller Optionen empfahlen wir eine intensivere Beschneiung. Das ist mit geringem finanziellem Aufwand möglich und stellt mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit den jährlichen Betrieb ab Weihnachten für die nächsten 20 Jahre sicher. Als zu riskant haben wir hingegen eine Investition in einen weiteren Sechsersessellift bewertet. Für die Downhill-Bikestrecke gäbe es große Nachfrage. Aufgrund des erhöhten Kreditausfallsrisikos und der öffentlichen Haftungen haben wir hier aber nicht zu direkten Investitionen durch die Bergbahnen selbst geraten.

STANDARD: Wie kommen Sie zu einem lokalen Klimamodell, das den Bewertungen zugrunde liegt?

Prettenthaler: Wir ziehen für die lokalen Analysen die neueste Generation der Klimamodelle der Euro-Cordex-Initiative gemeinsam mit lokalen Messreihen heran. Die klimatischen Veränderungen werden mit einer Prognose der Nachfrage auf Basis demografischer Modelle kombiniert. Die Frage dahinter: Wie viel skifahrende Kinder wird es in einer Region in 20 Jahren noch geben, und wie wirkt sich das auf die Umsätze aus?

STANDARD: Wie fließen die Untersuchungen in die Projektentscheidungen ein?

Prettenthaler: Es gibt europaweit den Trend zu einem sogenannten "climate proofing of investments", in dessen Rahmen unter Berücksichtigung wahrscheinlicher Klimaszenarien das Risiko eines Kreditausfalls untersucht wird. In der Regel kommen Projektwerber oder Banken zu uns und lassen für ein Projekt berechnen, ob die Rückzahlungszeiträume unter Klimawandelbedingungen eine akzeptable Größe haben. Eine pauschale Beurteilung hat das Risiko, dass auch gute Projekte kein Geld mehr bekommen.

STANDARD: Sie analysieren auch wirtschaftliche Möglichkeiten in einer Gesellschaft mit niedrigem CO2-Ausstoß. Wie genau?

Prettenthaler: Es geht um detaillierte Untersuchungen, welche Energiesysteme, Geschäftsmodelle und Lebensstile aus Klimaschutzperspektive die größten Überlebenschancen haben. Dazu bieten wir Lebenszyklusanalysen für Produkte und Dienstleistungen an, um den CO2-Rucksack genau zu bestimmen. Wir helfen den Unternehmen, diesen Rucksack klein zu halten. Wir glauben, dass in spätestens fünf Jahren jeder Kunde an der Supermarktkasse erfahren können soll, wie groß der CO2-Abdruck seines gerade getätigten Einkaufs ist.

STANDARD: Für welche Produkte haben Sie das schon errechnet?

Prettentahler: Wir haben beispielsweise für die globale Autoindustrie berechnet, wie der CO2-Rucksack für Elektroautos aussieht – und das gesondert für jedes Land, je nachdem, welcher Strommix zum Einsatz kommt. Wir sind bei dieser Lebenszyklusanalyse zum Schluss gekommen, dass Elektrofahrzeuge eine sehr deutliche CO2-Reduktion im Vergleich zu herkömmlichen Benzin- und Dieselautos bringen, etwa im Bereich von 40 Prozent.

STANDARD: Ist da auch berücksichtigt, woher der Strom kommt, der die E-Autos antreibt?

Prettenthaler: Ja. Das Produkt wird von der Wiege bis zur Bahre – von der Produktion bis zur Verschrottung – analysiert. In der Betriebsphase wird beim Benzin- und Dieselauto der Kraftstoffverbrauch eingerechnet, im Fall des Elektroautos die CO2-Emissionen des Strommixes im jeweiligen Land. Klar ist, dass der zusätzliche Strom aus erneuerbaren Quellen kommen muss. Das Ausbaupotenzial ist noch lange nicht erschöpft. Mit der Elektromobilität gewinnen wir viel Speichervolumen in den Autoakkus. Eine unserer Forschungsgruppen entwickelt Businessmodelle für sogenannte Microgrids bei den Verbrauchern. Dort wird Strom aus erneuerbaren Quellen ins Netz aufgenommen, und Autos werden aufgeladen. Ein Managementsystem muss dabei etwa Wetterprognosen und die Verfügbarkeit von Speichermedien berücksichtigen. Nur jene Energieversorger, die sich jetzt damit auseinandersetzen, werden in zehn Jahren noch bestehen.

STANDARD: Zu Ihren Aufgabengebieten gehört auch die Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Wie sieht das in Österreich aus?

Prettenthaler: Der Wintertourismus ist einer jener Bereiche, die am stärksten betroffen sein werden. Im Zwei-Grad-Szenario muss Österreich mit einem Rückgang bei Winternächtigungen von durchschnittlich fünf Prozent rechnen. Das heißt aber nicht, dass es Tirol, wo der Wintertourismus am stärksten ausgeprägt ist, auch am stärksten treffen wird. Wenn wir uns die makroökonomischen Verflechtungen ansehen, stellen wir fest, dass ein Rückgang beim Wintertourismus in ganz Österreich das Bundesland Oberösterreich am stärksten treffen wird. Der Grund ist die hohe Konzentration der Lebensmittelindustrie in diesem Bundesland, die auch den Tourismus versorgt. Der Beschäftigungsrückgang wäre hier am stärksten. (Alois Pumhösel, 12.6.2016)