Dieses Bild zeigt Francis Crick 1953 mit einem Modell der DNA. Gemeinsam mit James Watson konnte er die Struktur der DNA entschlüsseln.

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Nachdem er den Nobelpreis erhalten hatte, schmetterte Francis Crick mit einer Allzweck-Antwortkarte kurzerhand Anfragen aller Art ab.

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Wien – Am 25. April 1953 veröffentlicht das Fachjournal "Nature" einen Aufsatz mit dem Titel "Molecular structure of Nucleic Acids". Der Text ist gerade mal eine Seite lang. Die beiden Autoren, der Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick, sind in der Wissenschaftsgemeinde weitgehend unbekannt. Neun Jahre später halten die beiden den Nobelpreis für Medizin in Händen. Ihre Arbeit habe, so wird man später festhalten, das Tor zum Zeitalter der Molekulargenetik aufgestoßen. Wenn Darwin in seiner "Origin of Species" etwas nebulös von "Vererbung" sprach, so sei nun klar geworden, was darunter – im materiellen Sinne – zu verstehen ist. Der Vergleich mit Darwin ist nicht zu hoch gegriffen: Was dieser für die Biologie des 19. Jahrhunderts geleistet hat, waren Watson und Crick für das 20. Jahrhundert – Pioniere, die weiter sehen konnten als die anderen.

Für uns ist es heute eine Selbstverständlichkeit, die DNA als Träger der Erbinformation anzusehen. Doch bis in die 1940er-Jahre war das alles andere als klar, viele glaubten bis dahin, Vererbung sei Sache der Proteine. Endgültig Schluss mit dieser Ansicht war, als Watson und Crick (die Briten sagen übrigens Crick und Watson) die Struktur der DNA entschlüsselten. Sie wiesen nach: Unser Erbmolekül ist aufgebaut wie eine Wendeltreppe, bestehend aus einem äußeren Phosphat-Grundgerüst und im Inneren einer Abfolge von Basenpaaren – mit diesen speichert die lebende Zelle offenbar Information, die Basenpaare sind quasi die Buchstaben im genetischen Alphabet. All diese Folgerungen hätten Watson und Crick in ihrer Arbeit vom 25. April 1953 schon notieren können. Doch da stand nur der schlichte Satz: "Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die von uns vorgeschlagenen Paarungen auf einen möglichen Kopiermechanismus des genetischen Materials hinweisen."

Das ist Understatement vom Feinsten – Crick war es, der darauf bestand, die Jahrhundertentdeckung mit dieser Minimalinterpretation zu versehen. Unkonventionell verfuhr der studierte Physiker auch nach seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis, als die Zahl der Einladungen und Anfragen für Vorträge, Interviews und Buchprojekte explodierte. Wenn Crick solchen Bitten eine Absage erteilte, und das tat er oft, machte er das mittels einer Allzweck-Antwortkarte. Da waren alle möglichen Nein-Varianten vorgedruckt – der Empfänger konnte sich aussuchen, welche am besten zu ihm passt.

Mona Lisa der Wissenschaft

Die DNA, notierte der britische Kunsthistoriker Martin Kemp einmal, ist mehr als nur ein Molekül. Sie ist die "Mona Lisa der modernen Wissenschaft", eine Ikone, die das Zeitalter der Molekularbiologie versinnbildlicht. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Crick zeitlebens und darüber hinaus als DNA-Forscher geführt wurde. Doch man würde ihm nicht gerecht, reduzierte man seine wissenschaftliche Leistung auf diese Episode seines Schaffens.

Crick war, wie der deutsche Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger gegenüber dem STANDARD betont, auch in den Jahren danach einer der führenden theoretischen Köpfe der jungen Molekularbiologie: "Er hat zentrale Begriffe der neuen Biologie wie 'Information' und 'Code' spezifiziert, und er war der Autor des sogenannten 'Zentralen Dogmas der Molekularbiologie', das in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte Eingang gefunden hat. In Kurzform: DNA macht RNA, RNA macht Protein."

Vererbung, genetischer Code, Informationsfluss in der lebenden Zelle. Als diese Fragen geklärt waren, zog es den Rastlosen zu anderen Themen. Mit seinem Fachkollegen Leslie Orgel ging Crick der Frage nach, unter welchen Bedingungen das Leben entstanden sein könnte. In ihrem Aufsatz "Directed Panspermia" (1973) erklärten die beiden kurzerhand, die ersten einfachen Organismen seien durch Meteoriten auf die Erde gelangt – und demnach gar nicht auf unserem Planeten entstanden.

Das ist zwar keine Lösung im engeren Sinne, weil es das Problem – durch Verlagerung ins Weltall – nur aus unserem Blickfeld entfernt. Dementsprechend still ist es heute um die sogenannte Panspermie-Hypothese geworden. Gleichwohl ist auch das typisch für Cricks Arbeitsweise. Was andere dachten, war ihm nicht so wichtig. Er ging seinen eigenen Weg. Crick verkörperte wie kaum ein anderer das wissenschaftliche Denken, sagt Jan-Michael Peters vom Institut für Molekulare Pathologie in Wien. "Wer um die Wahrheit ringt, kann sich auch einmal irren."

Mehr Anerkennung wurde Crick beim letzten großen Themenwechsel seiner Karriere zuteil. In den 1970ern ließ sich der studierte Physiker am Salk-Institut im kalifornischen La Jolla nieder und fand dort, wie schon in seinen DNA-Zeiten, erneut einen kongenialen Partner. Mit Christof Koch vom zwei Autostunden entfernten Caltech widmete er sich fortan einer anderen großen Frage, die da lautet: Wie entsteht das menschliche Bewusstsein?

Ein letzter Scherz

Die letzte Arbeit, die Crick mit Koch veröffentlicht hat, redigierte er 2004 noch im Sterbebett. Sie geht der Frage nach, wie all die Empfindungen, die über die Sinnesorgane auf uns einströmen, zu einer Einheit geformt werden. Die Antwort der beiden lautet: Es gibt im Gehirn eine unscheinbare und bislang kaum beachtete Region namens Claustrum, die Verbindungen zu vielen, wenn nicht sogar allen Bereichen der Großhirnrinde unterhält. Dieser Umstand macht sie zu einem Mittler im Konzert der Neuronen, sie agiert "wie ein Dirigent, der die Musiker in einem Orchester koordiniert".

Haben Crick und Koch damit die neurologische Antwort auf eine uralte philosophische Frage gefunden? Ist das Claustrum die Weltbühne der Empfindungen? Möglich wäre es. Crick jedenfalls fand auch hier Anlass für einen letzten wissenschaftlichen Scherz. Die Konturen des Claustrums, bemerkte er, würden verdächtig der geografischen Umrisslinie der Vereinigten Staaten von Amerika ähneln. Womit eigentlich bewiesen sei, dass an der Hypothese etwas dran sein muss. Heute, am 8. Juni, wäre Francis Crick 100 Jahre alt geworden. (Robert Czepel, 8.6.2016)