Ein Bub in einem Anhaltelager auf Lesbos. Griechenland hält in solchen Einrichtungen schon jetzt Flüchtlinge bis zu 25 Tage fest.

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Wien – Sebastian Kurz (ÖVP) nennt Australiens Einreise- und Asylsystem als gutes Beispiel, an dem sich die Europäische Union zumindest teilweise orientieren sollte. Beispielweise würde dann durch illegale Einreise in die Europäische Union das Recht auf Asyl verwirkt. Das ist nach jetziger menschenrechtlicher Lage nicht möglich, sagt Europa- und Völkerrechtsexperte Walter Obwexer im STANDARD-Gespräch. Aber was wäre im rechtlichen Rahmen? Wie ist die Lage derzeit? Fragen und Antworten rund um den Vorschlag des Außenministers.

Frage: Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) will, dass die EU sich bei der Einwanderungspolitik "Teile des australischen Modells" zum Vorbild nimmt. Was würde das bedeuten?

Antwort: Illegale Migration in die EU soll dann nicht mehr toleriert werden. "Jeder, der illegal nach Europa kommt, hat keine Chance mehr auf Asyl und kommt in ein Auffangzentrum", erläutert ein Sprecher des Außenministers. Auffangzentren sollen dort eingerichtet werden, wo sich bereits "Hotspots" zur Registrierung von Flüchtlingen auf griechischen und italienischen Inseln befinden; zusätzlich könnten weitere eingerichtet werden. Auch Australien lässt keine Flüchtlinge ins Land, sondern bringt sie auf vorgelagerte Inseln. Die EU-Hotspots dienen derzeit zur Aufnahme, Identifizierung und Antragsbearbeitung von Migranten und Asylsuchenden. Details, wie viele Personen dort künftig festgehalten werden könnten und für wie lange, konnte Kurz' Sprecher nicht nennen.

Frage: Wie oder wo wäre Menschen noch ein legaler Asylantrag möglich?

Antwort: Asylanträge wären dann nach Kurz' Vorschlag bei Anlaufstellen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Herkunftsländern oder sicheren Drittstaaten möglich – wie bereits im Rahmen von Resettlementprogrammen. Die Zahl der Aufnahmen von Flüchtlingen über diesen Weg soll "in drastisch weit höherem Ausmaß als bisher" erfolgen – genaue Zahlen dazu wurden nicht genannt. Laut UNHCR Österreich wurden seit 2014 durch Resettlement in Österreich 1500 Flüchtlinge aufgenommen, heuer sollen es 400 weitere sein. Diese geringen Zahlen bringt das Außenministerium damit in Zusammenhang, dass die Zahl der Asylanträge im Vorjahr ohnehin bei rund 90.000 lag. Auch UNHCR hielte eine Erhöhung des Resettlementkontingents für wichtig, ist aber für Internierung "nur als letzte Maßnahme". Kurz' Vorschlag höre man "mit Sorge", sagte eine UNHCR-Österreich-Sprecherin.

Frage: Wie viele Schutzsuchende werden schon jetzt in der EU auf Inseln festgehalten?

Antwort: Das griechische Recht sieht vor, dass Flüchtlinge bis zu 25 Tage angehalten werden dürfen. Ist danach noch nicht über ihr Verfahren entschieden, kommen sie in eine offene Einrichtung. Derzeit befinden sich laut UNHCR 8600 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln in verschiedenen Einrichtungen. 5500 davon seien in Anhaltezentren, die es zum Beispiel auf Lesbos und Samos gibt – wo es zuletzt immer wieder zu Ausschreitungen kam. Auf italienischen Inseln gibt es keine geschlossenen Lager.

Frage: Dürfen Flüchtlinge überhaupt auf Inseln eingesperrt werden?

Antwort: Europa- und Völkerrechtsexperte Walter Obwexer zufolge wäre das rechtlich gedeckt, da die Bewegungsfreiheit bis zur Entscheidung über einen Asylantrag vorübergehend eingeschränkt werden darf.

Frage: Kurz will, dass Menschen durch illegale Einreise den "Anspruch auf Asyl in Europa verwirken", wie er der "Presse" sagte. Geht das aus völkerrechtlicher Sicht?

Antwort: Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) können, so Obwexer, "Asylsuchende durch illegale Einreise ihr Recht auf einen Antrag auf Schutz nicht verwirken". So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2012 festgestellt, dass Italien unter anderem gegen das "Verbot der Kollektivausweisung" der EMRK verstieß, als es versuchte, die Einwanderung über das Mittelmeer mittels Abfangen der Schiffe und Rücktransport der Bootsflüchtlinge nach Libyen zu verhindern. Dieses Verbot wurde laut Urteil dadurch missachtet, dass keinerlei Prüfung der Identität der einzelnen Personen und ihrer jeweiligen Fluchtumstände erfolgte.

Frage: Es gibt also das Recht darauf, einen Asylantrag zu stellen, der zumindest in irgendeiner Form geprüft werden muss?

Antwort: Wird ein Asylantrag gestellt – und dazu haben die Schutzsuchenden das Recht -, ist dieser "zumindest in einem Schnellverfahren zu prüfen", wie Obwexer von der Universität Innsbruck sagt. Wäre aufgrund einer völkerrechtlichen Änderung die Abweisung möglich, müsste es laut Obwexer aber definitiv in den sicheren Drittstaaten die Möglichkeit geben, Asyl zu beantragen. Diese Länder, in die Flüchtlinge zurückgeschickt werden könnten (nach einem Schnellverfahren theoretisch auch schon jetzt), müssten die abgewiesenen Schutzsuchenden aufnehmen, und diese müssten dort definitiv sicher sein. Derzeit starten die meisten Boote nach Europa von Libyen, das sich weigert, Flüchtlinge zurückzunehmen.

Frage: Was soll noch dazu beitragen, dass illegale Migration zurückgeht?

Antwort: Sebastian Kurz will die Hilfe in den Ursprungsländern erhöhen. Sein Sprecher verwies auf Nachfrage auf die angekündigte Erhöhung der Entwicklungshilfegelder Österreichs bis 2021. Weiteres sei derzeit nicht angedacht. (Gudrun Springer, 6.6.2016)