Christian Kern wurde auf dem Kärntner Landesparteitag gefeiert wie ein Superstar. Die Funktionäre stellten sich stundenlang um ein Foto mit dem SPÖ-Chef an, und der weiß um die Macht der Bilder. Auf dem neu eingerichteten Instagram-Account des Bundeskanzleramts lässt sich Kern geschickt in Szene setzen: ein bisschen privat, sehr intensiv aber als Staatsmann, auch wenn das erst seit knapp drei Wochen der Fall ist. Man fühlt sich an die Darstellung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama erinnert: cool, sympathisch, selbstbewusst. Es ist der Versuch, mit einem Hauch von Personenkult einen Mythos zu inszenieren: der Erlöser der heimischen Sozialdemokratie.

Das Parteivolk saugt diese Inszenierung begierig auf und zeigt sich gewillt, dem Neuen an der Spitze in den vorgeschriebenen Aufbruch zu folgen. Der linke und der rechte Flügel in der Partei scheinen erst einmal versöhnt, gemeinsam könne man fliegen. Keine Frage, die SPÖ ist im Aufwind: Kern vertraut auf sein Charisma, seine Ansagen an die Genossen sind zielsicher platziert. Dabei ist nicht neu, was er an Forderungen vorbringt: Maschinensteuer, Vermögenssteuer, Arbeitszeitverkürzung. Das riecht nach der Mottenkiste der Partei. Schon Kerns Vorgänger Werner Faymann hatte diese Forderungen erhoben. Aber es ist der neue Stil, der die Partei zum Schwingen bringt und ihr das Selbstvertrauen, das unter Faymann so arg ramponiert wurde, wiedergeben soll.

Die ÖVP steht dieser Entwicklung ein wenig ratlos gegenüber. Deren Parteichef Reinhold Mitterlehner hatte erst einmal brav mitgeklatscht – bis ihn einige Strategen aus den eigenen Reihen darauf aufmerksam machten, wem er da eigentlich Applaus zollt: dem Chef der falschen Partei. Wer würde denn vom neuen Stil in der Koalition profitieren, wem würde es denn angerechnet werden, wenn sich etwas bewegt? Bestimmt nicht der ÖVP, lautete die wenig überraschende Erkenntnis in den Funktionärszirkeln der Volkspartei.

Mitterlehner ist zerrissen zwischen dem Anspruch, doch etwas gestalten und weiterbringen zu wollen, und dem Selbsterhaltungstrieb, der ihm und seiner Partei das Überleben – oder zumindest eine gute Ausgangsposition für die kommenden Wahlen – sichern soll. Er hält einmal vorsichtig dagegen, lehnt die inhaltlichen Forderungen von Kern – Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung, Vermögenssteuer sowieso – ab, ohne dabei gleich den atmosphärischen Neubeginn infrage zu stellen.

Andere denken weiter – oder kürzer. Der Außenminister etwa. Sebastian Kurz dürfte zwar erleichtert darüber sein, dass der Kelch, die ÖVP übernehmen zu müssen, jetzt noch einmal an ihm vorübergegangen ist, er ist aber beharrlich darum bemüht, den Spielraum des Kanzlers möglichst klein und die Bruchlinien zwischen SPÖ und ÖVP möglichst groß zu halten.

Kurz bedient mit seinen Schreckensszenarien einer Flüchtlingspolitik gezielt jene, die in dieser Frage für einen möglichst rigiden, geradezu unmenschlichen Kurs eintreten. Davon gibt es in Österreich genug, viele auch in der SPÖ. Kern versucht das Thema wohl auch deshalb zu vermeiden, da man mit einem moderaten Kurs derzeit offenbar wenig erreichen kann, auch in der Regierung. Es gibt viele andere Probleme, die Kern lösen muss, aber er wird sich auch der Flüchtlingsproblematik stellen und einen Weg finden müssen – irgendwo zwischen den Gegenpolen Caritas und Kurz. (Michael Völker, 5.6.2016)