Brexit-Vorkämpfer und Cameron-Rivale Boris Johnson setzt auf den Austritt aus der EU und damit politisch alles auf eine Karte. Am Dienstag endet die Registrierungsfrist für den Urnengang am 23. Juni.

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Im Lager der EU-Befürworter breitet sich Unruhe über den Verlauf der Brexit-Debatte aus. Aktivisten wie Regierungsmitglieder kritisieren die Medien, aber auch das eigene Lager dafür, dass überwiegend "weiße, ältere Männer" zugunsten des Verbleibs im Brüsseler Club sprechen. Der zunehmend bittere Bruderkrieg innerhalb der konservativen Regierungspartei lässt zudem in der öffentlichen Wahrnehmung wenig Raum für die anderen Parteien.

Am Sonntag ging der Meinungsstreit bei den Tories in unverminderter Härte weiter. Der frühere Premierminister John Major (1990-97) tat den für seine lustigen Witze bekannten Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson als "Narr bei Hofe" ab. Der ehrgeizige Rivale von Premier David Cameron könne in der Parlamentsfraktion "auf Loyalität nicht zählen". Was Johnsons Brexit-Lobby "Vote Leave" den Wählern erzähle, sei "schmutzig und unehrlich". Hingegen bezeichnen führende Brexiteers wie Ex-Sozialminister Iain Duncan Smith ihren eigenen Premierminister als "Pinocchio", bezichtigen ihn also kaum noch indirekt der Lüge.

Weibliche Stimmen fehlen

Genau jenes "Brunftgeschrei der Platzhirsche" stoße vor allem ihre Geschlechtsgenossinnen ab, glaubt die frühere Labour-Vizevorsitzende Harriet Harman und beklagt bitter das Fehlen weiblicher Stimmen. Ins gleiche Horn stößt auch die konservative Wirtschafts-Staatssekretärin Anna Soubry: Beide Seiten würden sich zu sehr auf "ältere, weiße Männer" (pale, male and old) verlassen, glaubt die Abgeordnete von Broxtowe bei Nottingham.

Soubry organisierte vergangene Woche eine öffentliche Veranstaltung in ihrem mittelenglischen Wahlkreis – und in der vollbesetzten Halle des Pearson Centre von Beeston spiegelte sich die nationale Situation wider: Von den sieben Sprechern auf dem Podium sowie von örtlichen Parteien waren fünf Männer, auch in der anschließenden Diskussion kamen Frauen kaum zu Wort.

Die zehn am häufigsten in Medien zitierten Protagonisten, ergab eine Studie der Uni Loughborough, waren allesamt Männer; Frauen stellten 16 Prozent der Interviewpartner im Fernsehen und lediglich neun Prozent in den Zeitungen. Labour-Frau Harman hat deshalb sogar die Medien-Aufsichtsbehörde Ofcom angerufen. Einer Zählung der größten Oppositionspartei zufolge lag das Geschlechterverhältnis der interviewten Politiker im einflussreichen BBC-Politikmagazin Today seit Beginn des Jahres bei 83 Männern zu 17 Frauen.

Frauen sollen überzeugen

Nächste Woche sollen erstmals Frauen eine TV-Debatte dominieren. Auf dem Kommerzkanal ITV werden für "Stronger in Europe" die konservative Energieministerin Amber Rudd, Labours wirtschaftspolitische Sprecherin Angela Eagle und die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon antreten. Eilig holte auch "Vote Leave" zwei Frauen ins Team: Rudds Staatssekretärin Andrea Leadsom sowie die Deutsch-stämmige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart haben den "Hofnarren" Johnson neben sich.

Insbesondere in Sturgeon setzen die EU-Befürworter große Hoffnungen. Die Vorsitzende der schottischen Nationalpartei SNP glänzte bei mehreren TV-Debatten im Vorfeld der jüngsten Unterhauswahl und genießt sowohl im britischen Norden als auch im ganzen Land hohe Zustimmungsraten. Allerdings dürften ihr die Brexiteers den Widerspruch um die Ohren schlagen, dass die SNP einerseits die britannische Union verlassen, andererseits in der Europäischen Union verbleiben will. Dieses Problem hat eine andere schottische Frau nicht, die kurz vor dem Abstimmungstermin am 23. Juni als Trumpf für die EU-Befürworter auftreten soll: Die schottische Tory-Chefin Ruth Davidson (37) gilt als kommender Star der konservativen Gesamtpartei.

Beide Seiten wandten sich am Wochenende mit letzten Appellen an die Wählerschaft, sich für den Urnengang zu registrieren. Am Dienstag um Mitternacht läuft die Frist ab. Besonders die proeuropäische Lobby treibt der Altraum um, dass viele ihrer jüngeren Anhänger den (freilich geringen) bürokratischen Aufwand scheuen. (Sebastian Borger aus London, 5.6.2016)