Ein Foto mit dem neuen Bundeskanzler? Ja, gerne. Eines? Nein, nicht nur eines. Jeder der 464 stimmberechtigten Delegierten des Kärntner SPÖ-Landesparteitags schien sich darum anzustellen, mit Christian Kern fotografiert zu werden. Irgendwann musste dann Schluss sein, sonst hätte der Parteitag nicht beginnen können.

Also ein kurzer Rückzug des Kanzlers mit dem Landeshauptmann in eine Ehrenloge, die üblichen Parteitagsformalitäten. Und dann ein triumphaler Einzug in den Saal. Alle stehen auf, applaudieren stehend. Christian Kern ist einer, der dazugehört – in gewissem Sinne eine Kultfigur, aber eben auch jemand, der in Kärnten einen Zweitwohnsitz hat. Und der zu erzählen weiß, dass er am Vorabend des Parteitags beim Metzgerwirt in Radenthein war.

Kerns Wirt vs. Google

"Mein Wirt in Radenthein hat mehr Mitarbeiter und zahlt mehr Steuern in Österreich als der Weltkonzern Google." Mit seiner Kritik an Großkonzernen, die auf globalisierten Märkten jede Möglichkeit der Steuervermeidung nutzen, sprach Kern den Delegierten aus der Seele; noch mehr, als er die Sorgen ansprach, dass die stetigen Produktivitätssteigerungen zu einem Rückgang der Lohnarbeit führen könnten.

Applaus also für sein Versprechen, das Thema Arbeitszeitverkürzung wieder auf die politische Agenda zu setzen. Applaus der Genossen auch für die Ankündigung, das Thema Wertschöpfungsabgabe, vulgo "Maschinensteuer" zu verfolgen.

Natürlich ist Kerns erster Auftritt auf einem Parteitag – kokett behauptete er, davor gezittert zu haben – auch deshalb gelungen, weil der Kanzler viel Lob für seine Kärntner Parteifreunde parat hatte: "Kärnten ist ein fantastisches Land, ich bin froh, dass ihr es nicht den Blauen überlassen habt."

Die ganze Bühne ist sein

Dazu die stilistische Abgrenzung von Amtsvorgänger Werner Faymann: Kern sprach nicht vom Rednerpult, er bespielte die gesamte Breite der Parteitagsbühne – man kennt das eher von Managementseminaren als von Parteiveranstaltungen. Dass hier eine andere Ära eingeleitet werden soll, wird auch in Kerns Formulierungen klar – die Sozialdemokratie dürfe nicht die Kompromisse schon zu Verhandlungsbeginn vorwegnehmen, sie brauche wieder Visionen, sie brauche auch das Zuhören und Argumentieren, wenn es darum geht, den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Applaus, Applaus, Applaus. Und dann wieder Fotos, Fotos, Fotos – mehr als eine Stunde wird das insgesamt dauern.

In diesem Trubel um Kern ging fast der wichtigste Programmpunkt der Kärntner Sozialdemokraten unter: Landeshauptmann Peter Kaiser ist mit 99,36 Prozent als Kärntner SPÖ-Parteivorsitzender bestätigt worden.

(Conrad Seidl aus Klagenfurt, 6.6.2016)