Ankara/Athen – Die EU-Kommission gratulierte den Türken, doch Amnesty International findet nichts als Lücken, Mängel, illegale Praktiken: Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat für Flüchtlinge, lautet die Schlussfolgerung eines Berichts, den die Menschenrechtsorganisation am Freitag veröffentlichte. Das Land sei mit seinen drei Millionen Asylsuchenden und Flüchtlinge völlig überfordert, heißt es. Für sie gebe es in der Türkei "keinen wirksamen Schutz".

Im dritten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Visaliberalisierung und zum Rücknahmeabkommen mit der Türkei von Anfang Mai las sich das ganz anders. Alle Bedingungen für das Management der Migration seien erfüllt, stellten die EU-Beamten zufrieden fest. Die Migrationsbehörde des türkischen Innenministeriums arbeite nun "ohne Verzögerung" alle Anträge von Flüchtlingen ab.

Gegengeschäft für Visafreiheit

Seit 1. Juni ist das Abkommen zwischen der EU und der Türkei über die Rücknahme von Migranten voll in Kraft. Illegale Migranten aus dritten Ländern, die über die Türkei in die EU gelangen, muss Ankara nun zurücknehmen. Das gehört zum Gegengeschäft, das die EU mit der Türkei für die Aufhebung der Visapflicht für türkische Bürger abschloss. Und es ist Teil der umfangreicheren Bemühungen, den Flüchtlingsstrom aus der Türkei nach Europa einzudämmen. Doch eine Basis für diese Abkommen gibt es nicht, kritisiert Amnesty; die Wirklichkeit sähe für die Flüchtlinge in der Türkei ganz anders aus. "Illegal und skrupellos" nennt sie deshalb das Flüchtlingsabkommen, das die EU-Länder vergangenen März mit der Türkei schlossen. Dabei geht es um die Deportation in die Türkei von Migranten, die auf die Ägäis-Inseln gelangt sind.

Flüchtlinge in der Türkei hätten keinen sicheren Rechtsstatus, keine dauerhafte Perspektive und könnten in der großen Mehrheit auch nicht versorgt werden. Die Europäer aber versuchten, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken: "In ihrem Bemühen um eine Abwehr von Flüchtlingen liefert die EU absichtlich eine falsche Darstellung dessen, was vor Ort in der Türkei wirklich geschieht", sagte der Amnesty-Direktor für Europa und Zentralasien, John Dalhuisen.

Unterdessen ist ein Eilantrag der deutschen NGO Pro Asyl beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zurückgewiesen worden. Damit sollte die Abschiebung eines Syrers aus Griechenland in die Türkei verhindert werden. Eine Begründung für die Entscheidung nannte das Gericht vorerst nicht. (Markus Bernath, 3.6.2016)