Die Pferdeparade gehört zur alten Tradition in Ajvatovica. Aus allen Landesteilen kommen die Pilger geritten. Sowohl die bosnische als auch die türkische Flagge sind überall präsent.

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Ajvatovica ist die größte Wallfahrt der Muslime auf dem Balkan und damit in Europa.

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Auch für die Verpflegung ist natürlich gesorgt.

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Einbeinige und andere Versehrte sitzen am Wegrand und betteln. Die meisten Pilger gehen nicht an ihnen vorbei. Sie sind mit Bussen in aller Herrgottsfrühe angereist. Die Frauen tragen lange Röcke und Kopftücher, wie Bäuerinnen. Vom Ort Prusac auf den Berg hinauf, sind es etwa sieben Kilometer. Die Träger der blumengeschmückten Stangen, an denen grüne islamische Fahnen hängen, gehen mit den Imamen voran. Der Holunder blüht. Wem zu heiß wird, der setzt sich einfach ins Gras. In Bosnien-Herzegowina sieht man das oft: Menschen, die seelenruhig in der Wiese sitzen.

Ajvaz Dede dürfte es vor 500 Jahren etwas eiliger gehabt haben. Der Derwisch, der im 15. Jahrhundert aus Anatolien nach Zentralbosnien gekommen sein soll, ging der Legende nach im Jahre 1510 zu einem Felsen, der eine Quelle vom Weiterfließen abhielt. Angeblich soll Ajvaz Dede 40 Tage Allah um Wasser gebeten haben. In der vierzigsten Nacht soll er geträumt haben, dass zwei Widder mit ihren Hörnern den Stein zerschlagen. Und als er erwachte, soll der Fels gespalten gewesen sein.

Das "Wunder" sprach sich herum, und Ajvatovica wurde zur Pilgerstätte. Wenn sich der Blick in den gespaltenen Felsen öffnet, sprechen die Imame ihre Gebete. Nach jahrhundertealter – vorislamischer – Tradition wird hier zu dieser Jahreszeit um Regen gebetet, der für die Bauern überlebenswichtig ist. Nicht nur in Ajvatovica geht es ums Wasser – viele Pilgerstätten auf dem Balkan gehen auf Gebete um Regen zurück, wie der britische Anthropologe David Henig dem STANDARD erklärt.

Nationale Identitätsbildung

Tritt man hinter den Felswänden hervor in den Wald und geht ein paar Dutzend Meter aufwärts, kommt man zu einer warmen Sommerlichtung. Ajvatovica ist der größte Wallfahrtsort der Muslime auf dem Balkan und damit in Europa. Ajvatovica ist aber vor allem ein Ort der nationalen Selbstvergewisserung der Bosniaken. Zu jugoslawischer Zeit war die Wallfahrt verboten. 1947 wurden sogar 13 Menschen verurteilt, weil sie an einer "unerlaubten Prozession" teilgenommen hatten.

In den 1980er-Jahren, als die sozialistische Ideologie in Jugoslawien bröckelte und der Nationalismus religiös untermauert wurde, begannen die Religionsgemeinschaften Massentreffen zu organisieren. National gesinnte Muslime erweckten 1990 Ajvatovica zum Leben, mit Unterstützung der größten muslimischen Partei, der SDA. Es ging darum, das "Bosniakentum" zu stärken.

Heute sitzen tausende Menschen auf der Lichtung, die Fichten sind wie Kulissen. Oben auf der Holzbühne beginnen sich die Männer in den weißen Gewändern um sich selbst zu drehen. Auf dem Kopf tragen die Derwische eine aus Filz gefertigte braune Sikke. Den Kopf halten sie etwas geneigt, die Arme sind ausgebreitet, der Körper ist nach oben ausgerichtet, die Augen oft geschlossen.

Vielleicht symbolisieren Derwische Konzentration, vielleicht Versunkenheit, sicher Eleganz. Vorn steht breitbeinig ein fescher Folklore-"Osmane" und hält eine riesige türkische Flagge. Angesichts der vielen weißen Halbmonde auf rotem Grund könnte man Ajvatovica auch als PR-Veranstaltung für die Türkei interpretieren. Sogar die Derwische kommen aus der Türkei. Die bosniakische SDA zeigt bei jeder Gelegenheit ihre Unterstützung für Recep Tayyip Erdogans AKP.

Kein Hadsch, reine Tradition

Der Großmufti Husein Kavazovic predigt Altruismus. "Der Islam ist nicht der Weg des Todes und irgendeiner grotesken, militanten Ideologie", nimmt er Bezug auf den islamistischen Terrorismus. Bei der Wallfahrt handle es sich keinesfalls um einen kleinen "Hadsch", wie manche glauben würden, sondern nur um Tradition.

Nach der Rede setzen sich die Menschen in Reihen auf die Wiese. Das Mittagsgebet beginnt. Die Menschen stehen auf, beugen sich und knien nieder. Im Wald weiter unten wiehern und stampfen die Pferde. Ihre Köpfe sind mit Blumen verziert, sie tragen bosnische Flaggen auf ihren Rücken. Ein Pferd hat Manschetten aus einer bosnischen Flagge. Patriotischere Pferdefüße gibt es wohl kaum. (Adelheid Wölfl aus Ajvatovica, 4.6.2016)