"Unser Herz ist für Bewegung gemacht", sagt J. Mascherbauer.

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Julia Mascherbauer ist Kardiologin an der Universitätsklinik für Innere Medizin II der Med-Uni Wien am AKH.

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STANDARD: Täuscht der Eindruck, oder werden die Infarktpatienten immer jünger?

Mascherbauer: Generell nicht, wir beobachten aber, dass die betroffenen Frauen immer jünger werden. Im Vergleich zu früheren Generationen rauchen sie häufiger, nehmen die Pille. Damit erhöht sich das Risiko. Auch der sogenannte westliche Lebensstil ist extrem schlecht.

STANDARD: Warum konkret?

Mascherbauer: Unser Herz ist für körperliche Anstrengung gebaut. Viele bewegen sich kaum, sind übergewichtig. Wer das lange genug gemacht hat, bei dem können ab dem 40. Lebensjahr Probleme auftreten.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Gene?

Mascherbauer: Beim Herzinfarkt in jüngeren Jahren stammen fast alle Patienten aus Familien, in denen gehäuft Herzinfarkte oder Schlaganfälle vorkommen. Es ist die häufigste Todesursache in der westlichen Welt.

STANDARD: Wie verhält man sich als Mitglied einer Risikofamilie?

Mascherbauer: Es gibt leider keinen Test, der das Infarktrisiko vorhersagbar macht, die Veranlagung ist auf viele Gene verteilt. Abgesehen von der gesunden Lebensführung könnte aber jeder, der besorgt ist, regelmäßig Blutdruck messen.

STANDARD: Was sind die Anzeichen?

Mascherbauer: Reproduzierbare Schmerzen in der Brust bei Anstrengung, zunehmende Atemnot, ein plötzlicher Leistungsknick.

STANDARD: Was dann?

Mascherbauer: Ich rate zu einer ärztlichen Abklärung. Erhöhter Blutdruck und erhöhte Blutfettwerte lassen sich medikamentös behandeln. Empfehlenswert sind EKG, Belastungs-EKG und Herzultraschall. Sie geben Hinweise auf Herzprobleme. Ein Infarkt kommt fast nie aus dem Nichts, sondern kündigt sich an.

STANDARD: Gibt es Biomarker?

Mascherbauer: So wie wir sie aus der Onkologie kennen, nicht. Bei Verdacht auf Herzinfarkt können wir das cardiale Troponin T messen. Es zeigt, ob Herzmuskelgewebe akut zugrunde gegangen ist. Als prognostischer Marker in Screenings wäre es aber untauglich. Als Biomarker für Herzschwäche kann das im Serum gemessene natriuretische Peptid NT-pro BNP helfen. Es lässt Rückschlüsse darauf zu, ob der Herzmuskel geschädigt oder belastet ist.

STANDARD: Zum Alter: Wie alt war eigentlich Ihr jüngster Patient?

Mascherbauer: Er war 32 Jahre und hatte Glück, dass sein Infarkt erkannt wurde und er bei uns gelandet ist. Weniger als fünf Prozent aller Herzinfarktpatienten versterben heute am Ereignis. Das hat mit der guten Rettungsversorgung in Österreich zu tun und damit, dass wir im Vergleich mit dem Status quo vor 15 Jahren wirklich eine fantastische Therapie zur Verfügung haben. Ich bezeichne die primäre Koronarintervention (PCI) wirklich als Wundertherapie. Wir retten damit sehr viele Menschen.

STANDARD: Wie genau?

Mascherbauer: Wer mit einem Infarkt eingeliefert wird, kommt direkt zu uns in den Herzkatheter. Wir stellen über die Arm-Arterie mittels Röntgens und Kontrastmitteldarstellung der Gefäße sofort fest, welches Blutgefäß verschlossen ist, eröffnen es mit Drähten und Ballonen und setzen Gefäßstützen, sogenannte Stents, ein, um die verengten Gefäße zu dehnen und zu stabilisieren. Theoretisch könnte der Patient gleich danach wieder nach Hause gehen. Entscheidend ist nur, dass das schnell passiert.

STANDARD: Wie schnell?

Mascherbauer: Möglichst schnell. Bei einem kompletten Verschluss innerhalb von ein bis drei Stunden. Es gilt: "Time is muscle". Bei partiellen Verschlüssen innerhalb von 24 bis 72 Stunden. Wichtig ist, dass der Herzmuskel so kurz wie möglich unterversorgt ist und dadurch wenig geschädigt wird. Die Folge der Unterversorgung wäre nämlich eine Verminderung der Pumpleistung, die viel beeinträchtigender und schwerer zu behandeln ist.

STANDARD: Regeneriert sich das Herz nicht auch selbst?

Mascherbauer: Nur begrenzt.

STANDARD: Welche Rolle spielt das Alter?

Mascherbauer: Wenn es nur um das Herz geht, eigentlich keine große. Man kann das gesunde Herz eines älteren Menschen von einem jungen kaum unterscheiden. Alte Patienten haben aber häufig Begleiterkrankungen, darunter leidet dann auch das Herz.

STANDARD: Wie schlecht ist Stress?

Mascherbauer: Bei Stress steigen sowohl Blutdruck als auch Herzfrequenz. Auf Dauer ist das belastend. Alles hängt zusammen, ist mechanistisch relativ einfach – und vieles ist beeinflussbar. Es braucht allerdings Zeit, um Patienten das Zusammenspiel der vielen Faktoren verständlich zu machen. Wir bräuchten viel mehr Zeit für diese Aufklärung. (Karin Pollack, 4.6.2016)