"Gewöhnliche Menschen", die Korruption und Missstände an ihrem Arbeitsplatz entdecken und unter schwierigen Bedingungen auch öffentlich anklagen: ein Festwochengastspiel aus Sibiu.


Foto: Adi Bulboaca

Wien – "Wos woar mei Leistung?" Ja, das fragt sich nicht nur ein ehemaliger FPÖ-Funktionär angesichts seiner unversteuerten Provisionsmillionen bis heute. Das müssen sich auch Verwaltungsräte der sardinischen Hauptstadt Cagliari fragen, die offenbar öffentliche Gelder auf nicht nachvollziehbare Weise ausgeben und/ oder in die eigenen Taschen verschwinden lassen. Oder Ärzte, die ihre vom Staat finanzierte Arbeitszeit an einem öffentlichen Spital in London lieber in Privatkliniken zubringen. Bis hin zu Menschen, die Schmier- bzw. Schutzgelder eintreiben.

Korruption, unzulässige Bereicherung, Betrug waren gewiss schon immer Teil der Geschäftswelt. Seit es aber die Technologie zulässt und das Ungerechtigkeitsgefälle immer größere Dimensionen erreicht, wird deutlich mehr davon aufgedeckt. Es gibt neben der Speerspitze von Wikileaks und Edward Snowden auch eine Heerschar von Whistleblowern, die du und ich sein könnten, Gewöhnliche Menschen, wie sie die rumänische Regisseurin Gianina Carbunariu in ihrem gleichnamigen Stück vorstellt. Oameni Obisnuiti, so der Originaltitel, hatte am Dienstag Premiere bei den Wiener Festwochen im Theater Akzent.

Zum Beispiel Sharmila Chowdhury, die als Abteilungsleiterin der Radiologie massiv gefälschte Anwesenheitslisten der Ärzte aufdeckt. Oder Ian Foxley, einst Offizier der Armee, der eine britische Firma der Bestechung im Fall eines Verteidigungsdeals mit Saudi-Arabien beschuldigt. Oder Claudiu Titulan, Angestellter der rumänischen Autobahngesellschaft CNADNR, der mit zwei Kollegen den Generalsekretär wegen Amtsmissbrauch anklagt.

Brav zu Ende erzählt

Acht jeweils vor Ort in Italien, Großbritannien und Rumänien selbst (nach-)recherchierte Aufdeckergeschichten stellt Carbunariu vor. Dabei behält sie sich vor, das Material nicht wortwörtlich zu verwenden, sondern im Detail letztlich zu fiktionalisieren. Uraufführung war am 13. Mai im Radu-Stanca-Theater in Sibiu. Die Inszenierung erweist sich vor allem als Transportmittel für den zivilgesellschaftlichen Appell: Seht her, wie viel schiefläuft!

Es ist die Schwäche des Abends, über das bloße Herzeigen dieser Missbrauchsfälle bzw. über das in zwei chronologische Tranchen gegliederte Nachstellen dramaturgisch nicht hinauszudenken.

Jeder der szenisch angeteaserten Einzelfälle wird schließlich brav zu Ende erzählt – in immer gleicher Abfolge: aufdecken, auf Widerstand der Vorgesetzten stoßen, Schikanen der Kollegen ertragen, degradiert, versetzt oder entlassen werden, gesundheitliche und finanzielle Schäden davontragen, Gerichtsprozesse durchstehen und/oder aufgeben. Gewöhnliche Menschen verkommt so zu einem didaktischen Fingerzeigtheater ohne Denkraum. Gianina Carbunariu, die vorwiegend dokumentarisch arbeitet (2010 zeigte sie Sold Out an den Münchner Kammerspielen, ein Stück über das Geschäft des kommunistischen Regimes mit deutschstämmigen Rumänen), bräuchte für ihre guten Ideen mehr dramaturgische Unterstützung.

Die 1977 Geborene, eine von ganz wenigen Regisseurinnen im osteuropäischen Theater, hat für Gewöhnliche Menschen allerdings eine schöne szenische Motorik entwickelt: Das Ensemble (Florin Cosulet, Mariana Mihu, Ioan Paraschiv, Ofelia Popii, Dana Talos und Mariu Turdeanu) wechselt in meist formalisierten Bewegungen und zarten Schwenks von einem Berufsfeld zum nächsten.

Vor einer milchweißen Wand (Bühne, Video, Kostüme: Mihai Pacurar), die alles enthält, was für Beschwerden und Rauswürfe vonnöten ist, entstehen so schöne Tableaus. Bei der einen Schublade kommt ein Entlassungsschreiben heraus, bei einer Durchreiche noch mehr Aktenberge. Schattenbilder spielen mit Größenverhältnissen bei Zwiegesprächen.

Führt diese Whistleblowerstudie zwar nicht weit über eine faktische Rekapitulation hinaus, so enthält sie doch ein stabiles Fundament für spannendes Dokumentartheater. In ihrer Heimat gilt Gianina Carbunariu jedenfalls als Enfant terrible. (Margarete Affenzeller, 1.6.2016)