Evgeny Morozov behauptet, dass die Technologieunternehmen mittlerweile große Teile der westlichen Politik beherrschen.

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Die mitunter düstersten Thesen über die Auswirkungen der neuen Medien auf unsere Gesellschaft stammen von Evgeny Morozov. Der weißrussische Autor des Bestsellers "Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen" geht mit Hightech-Unternehmen wie Google und Facebook hart ins Gericht. Seine wichtigste These: Unsere Gier nach immer mehr Technik, Daten, Algorithmen und schließlich Kontrolle führe letztlich zu Entmenschlichung und Freiheitsverlust.

In seiner jüngsten Kolumne für den "Guardian" geht Morozov noch einen Schritt weiter. Er behauptet darin, dass die Technologieunternehmen mittlerweile große Teile der westlichen Politik beherrschen. Viele Aufgaben des Staates wie Verkehr und Wohnbau bis hin zur Terrorbekämpfung hätten die Silicon-Valley-Giganten teilweise übernommen.

Rein profitgesteuert

Beim Summit des Global Editors Network in Wien wird Morozov über den Machtverlust traditioneller Medien und den wachsenden Erfolg von Platform-driven News sprechen: "Die neuen Medien haben gelernt, mit den Usern zu interagieren. Sie wissen, wie man Content produziert, und sie wissen, was die User interessiert." Das sei enorm gefährlich, da diese Unternehmen rein profitgesteuert seien und – mit Ausnahme von ein paar gesponserten Projekten – kein echtes Interesse am Journalismus hätten. Der Journalismus, wie er die vergangenen 200 bis 300 Jahre existiert habe, stehe vor dem Abgrund.

Ziemlich düstere Aussichten also. Andererseits: Die Thesen von Morozov sind jenen von Karl Kraus, Ferdinand Lassalle und Karl Bücher von vor knapp 100 Jahren nicht unähnlich – nur galten die eben keinen Platform-driven News, sondern den damaligen Qualitätszeitungen. Der deutsche Ökonom und Zeitungswissenschafter Bücher schrieb 1926: "Eine Zeitung ist in erster Linie eine Verkehrseinrichtung, und sie bildet eines der wichtigsten Stützorgane der Volkswirtschaft." Die Zeitung, urteilte Bücher, sei allen voran "ein Erwerbsunternehmen, das Annoncenraum als Ware erzeugt, die nur durch einen redaktionellen Teil verkäuflich wird". (Gunther Müller, 1.6.2016)