Alles ist prognostizierbar, nichts ist sicher. Zum Start der Euro 2016 am 10. Juni haben wir Fußballstudien und -statistiken zusammengetragen.

Frage: Frankreich trägt zum dritten Mal die Fußball-Europameisterschaft aus und wird auch als einer der Favoriten gehandelt. Haben Heimmannschaften also bei der Euro einen Vorteil?

Antwort: Nein. Bisher wurden nur drei Gastgeber von 14 Turnieren Europameister: Spanien (1964), Italien (1968) und Frankreich (1984). Das ist nicht viel, mag aber auch an der Wahl der Austragungsorte liegen: Österreich und die Schweiz (2008) zum Beispiel waren zur Zeit der Europameisterschaft nicht unter den allerbesten Fußballnationen zu finden.

Ein Gastgeber, nämlich Portugal 2004, wurde Vizeeuropameister, einer, Belgien 1972, wurde Dritter. Deutschland 1988 und England 1996 erreichten das Halbfinale, verloren aber dort. Frankreich ist das erste Land, das bereits zum dritten Mal Gastgeber ist – nach 1960 und 1984.

Foto: APA/AFP/GEORGES GOBET

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Frage: Können Außenseiter gewinnen?

Antwort: Sie können – bei Fußball-Europameisterschaft offenbar häufiger als bei Weltmeisterschaften: 1992 gewann mit Dänemark ein Team, das nur zur EM in Schweden fahren durfte, weil der Gruppenerste der Qualifikationsspiele, das damalige Jugoslawien, aufgrund des Balkankrieges aus dem Turnier ausgeschlossen worden war. 2004 gewann Griechenland, auch ein Team, auf das kaum jemand gewettet hatte.

Die Spieler beider Mannschaften, Dänemark und Griechenland, begnügten sich übrigens mit dem Allernötigsten, sie beendeten die Vorrunde mit einem Minimum an Erfolg: einem Sieg, einem Unentschieden und einer Niederlage. Die Voraussetzungen waren aber doch andere: 1992 waren acht Nationen für die Endrunde qualifiziert, 2004 waren es sechzehn. Heuer sind es bereits 24.

[Im Bild: Am 4. Juli 2004 feiern die siegreichen Griechen mit Coach Otto Rehhagel.]

Foto: AP/Frank Augstein

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Frage: Kann das Elfmeterschießen in EM-Entscheidungsspielen nach der Vorrunde ewig dauern?

Antwort: Im Prinzip ja: Wenn nach den ersten fünf ausgewählten Spielern Gleichstand herrscht, wird so lange weitergeschossen, bis ein Spieler vergibt oder einer der beiden Tormänner hält. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nach elf Spielern pro Mannschaft immer noch unentschieden steht, ist dennoch gleich null. Präzision und Schusskraft sind bekanntlich nicht immer hundertprozentig, der Stress, treffen zu müssen, und viele andere Faktoren spielen eine Rolle. Die Frage nach der Ewigkeit ist also blanke Theorie.

Am häufigsten trafen Elfmetertorschützen im Spiel um Platz 3 während der EM 1980: Die damalige Tschechoslowakei spielte gegen Italien, mit dem Penaltyendstand 9:8. Die Gefahr einer Wiederholung besteht nicht mehr: Das Spiel um Platz 3 gibt es bei einer EM schon seit 1984 nicht mehr.

Foto: REUTERS/Yves Herman

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Frage: Passen oder selbst schießen? Was haben derartige Stürmerentscheidungen vor dem gegnerischen Tor mit Entscheidung zu tun, Geld zu investieren?

Antwort: Fußballer, die bei großen Vereinen viele Tore schießen, verdienen bekanntlich ziemlich gut. Der Portugiese Cristiano Ronaldo etwa, er steht auf der Gehaltsliste von Real Madrid, soll laut Zeitungsberichten auf 17 Millionen Euro jährlich kommen. Da gibt es aber noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen dem Toreschießen und Geld, als man für möglich halten würde: In beiden Fällen spielen das ventrale Striatum, Bestandteil der Basalganglien, und der präfrontale Cortex, ein Teil des Stirnlappens der Großhirnrinde, eine wichtige Rolle. Ersteres ist für die Berechnung der Erfolgschancen zuständig, Letzterer bewertet die Belohnung. Herausgefunden haben das Wissenschafter aus Bonn mittels Magnetresonanztomografie im vergangenen Jahr.

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Universität Bonn: Was ist belohnender: Fußballtor oder Geldgewinn?

Foto: Matthias Schrader/AP/dapd

Frage: Und nun zur wichtigsten Frage dieser Tage: Wer wird im Finale stehen und gewinnen?

Antwort: Acht Millionen Teamchefs in Österreich diskutieren darüber, Wissenschafter bemühen zur Beantwortung diese Frage Rechenmodelle. Achim Zeileis, Statistiker an der Universität Innsbruck, hat gemeinsam mit Wissenschaftern der Wirtschaftsuniversität Wien das Buchmacher-Konsensum-Modell angewandt: Das Forscherteam griff darin auf die Quoten von 19 Onlinewettanbietern zurück, die, kombiniert mit statistischen Rechenmodellen, eine Simulation aller möglichen Spielvarianten und Ergebnisse zulassen. Ergebnis: Die höchsten Chancen auf einen Turniersieg hat Frankreich mit einer Wahrscheinlichkeit von 21,5 Prozent, dicht gefolgt von Deutschland mit 20,1 Prozent.

Die Gewinnchancen von Titelverteidiger Spanien als Drittplatziertem liegen nur mehr bei 13,7 Prozent, es folgen England mit 9,2 Prozent Gewinnchance und Belgien mit 7,7 Prozent. Österreich hat in diesem Modell eine Chance, das Viertelfinale zu erreichen (34,9 Prozent) – liegt aber in der Titelfrage weit zurück (2,3 Prozent). Man muss realistisch bleiben.

Halten Sie das bloß für Kaffeesudlesen? Das Modell hat sich bei den vergangenen zwei Europameisterschaften bewährt. Eine sichere Prognose will Zeileis natürlich trotzdem nicht abgegeben haben. "Wir können nur Wahrscheinlichkeiten liefern, garantiert keine Gewissheiten." Prognosen können, das liegt in ihrer Natur, auch nicht eintreten. Ansonsten wäre Fußball ja auch sehr langweilig.

[Im Bild: Das französische Nationalteam nach dem 3:2-Sieg im Testspiel gegen Kamerun am Montag.]

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Predictive Bookmaker Consensus Model for the UEFA Euro 2016:

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Statistik: Frankreich und Deutschland sind klare EURO-Favoriten

Foto: APA/AFP/FRANCK FIFE

Frage: Bis zum Endspiel sind aber noch andere Fragen zu beantworten, etwa: Sind prominentere, größere Mannschaften bei Schiedsrichterentscheidungen unbewusst im Vorteil?

Antwort: Schiedsrichter bestreiten das natürlich vehement, Wissenschafter aber haben nun Beweise gesammelt, die die Referees zumindest in einer nationalen Meisterschaft überführen. Ein Team der Frankfurt School of Finance & Management hat durch Analyse von Daten aus mehr als einem Jahrzehnt deutsche Bundesliga herausgefunden, dass die größeren Mannschaften bei strittigen Elfmeterentscheidungen im Vorteil sind.

Sie stellten aber auch fest, dass es einen Bayern-Bonus bei Schiedsrichtern gibt und dass die Unparteiischen auch gar nicht so unparteiisch sind, wenn es bei einer Mannschaft um viel geht (zum Beispiel bei Abstiegskandidaten um den Verbleib in der Liga).

[Im Bild: Der deutsche Schiedsrichter Wolfgang Stark]

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Frankfurt School of Finance & Management: Schiedsrichterentscheidungen im Fußball: Vermuteter Promibonus bestätigt

Foto: APA/AFP/RONNY HARTMANN

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Frage: Kann man am Gesicht des Fußballers erkennen, wie er sich am Spielfeld verhält und ob er Tore schießt?

Antwort: Am Gesicht, genauer gesagt an der "Facial width-to-height ratio (fWHR)", lässt sich viel erkennen. Gemessen wird das Verhältnis des Abstands zwischen den beiden Ohren zur Distanz von Augenbrauen zu Lippe. Wissenschafter der University of Colorado haben die entsprechenden Daten von rund tausend Spielern, die an der Fußball-WM 2010 in Südafrika teilnahmen, gesammelt. Das Ergebnis: Spieler mit einem höheren Quotienten begingen eher Fouls und schossen mehr Tore als andere.

[Im Bild: Robin van Persie und Carles Puyol bei der WM 2010 in Südafrika.]

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University of Colorado: Facial structure predicts goals, fouls among World Cup soccer players

Foto: APA/EPA/MARCUS BRANDT

Frage: Und was hat das alles mit Zufall zu tun?

Antwort: Sehr viel. Etwa 40 Prozent aller Tore in der deutschen Bundesliga fallen zufällig. Das heißt nicht, dass die schlechtere Mannschaft fast gleich viele Chancen hat wie die bessere. Hier wird zum Beispiel gewertet, ob ein Schuss von irgendeinem Verteidiger abprallt. Wem das zu viel Glück im Spiel ist: Auch der Zufall folgt einer Gesetzmäßigkeit, nämlich dem Poisson-Prozess. Dieser besagt übertragen auf das Spiel, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Tor in einem Zeitintervall direkt proportional zur Länge des Intervalls ist – was uns jetzt nicht wirklich überrascht. Die Chance, ein Tor auf dem Weg in die Küche oder auf die Toilette zu versäumen, ist also wirklich gering, aber von der Dauer des Verbleibens ebendort abhängig. Irgendwie tröstlich.

(Peter Illetschko, Daniela Yeoh, 4.6.2016)

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Die Euro 2016

Nachlese (Wissenschaft)

Foto: APA/ALOIS FURTNER