Nein, es gebe keinen Plan B für den Fall, dass die Briten beim Referendum für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union stimmen sollten. Es werde keine Mehrheit für den Brexit geben. Also lohne es sich gar nicht, groß darüber zu reden. Das zu betonen, werden Vertreter der EU-Kommission nicht müde.

Bis ganz hinauf in das Kabinett von Präsident Jean-Claude Juncker reicht die Kette der spitzenbeamteten Spindoktoren in Brüssel, die unangenehme Szenarien nicht wahrhaben wollen; die die Öffentlichkeit mit Stehsätzen abspeisen; Kritik vom Tisch wischen. Kalkuliert wird nur Plan A, der Verbleib des Königreichs in der EU.

Das simmt so natürlich nicht. Hinter den Kulissen geht das große Zittern vor dem "Undenkbaren" um. Das zeigt sich indirekt am Verhalten der Kommissare in Sachen Brexit. Sie vermeiden derzeit offizielle Reisen nach Großbritannien. Auch Juncker selbst wirbt nicht um die Briten. Offenbar glaubt man in Brüssel, sich vor den Bürgern zu verstecken würde dem Lager der Befürworter auf der Insel mehr nützen als eine starke eigene Präsenz.

Ein trauriger Befund. Das Juncker-Team ist Ende 2014 angetreten, um eine "starke politische Kommission" zu sein, die die EU auch global weiterbringen wollte. Was bedeutet diese Art von politischer Hasenfüßigkeit an der Spitze der Gemeinschaft? Darauf gibt es drei Antworten.

Erstens: Junckers Plan, den Bürgern mehr Orientierung über den Mehrwert ihrer EU zu geben, ist vorläufig gescheitert. Krisen essen die Seele Europas auf. Es reicht nicht, Nationalstaaten abzukanzeln, ohne selbst bessere EU-Lösungen durchsetzen zu können – siehe Migrationspolitik.

Zweitens: Ein Brexit hätte massive Folgen für alle 27 übrigen Mitgliedsländer. Die Briten zahlen netto fünf Milliarden ins Budget ein. Ohne ihren außenpolitisch-militärischen Beitrag (via Nato) wäre Europas Sicherheit die Hälfte wert. Es ist geradezu fahrlässig, wie wenig solche Zusammenhänge quer durch die Union thematisiert werden.

Drittens: Die Briten mögen schwierige Partner sein. Ihr Abschied hätte wirtschaftlich dramatische Folgen, auch für die transatlantische Partnerschaft mit den USA. Er würde die Machtarchitektur in der EU komplett verschieben.

Die EU-Staaten hätten viele Gründe, flammend um London zu werben. Derzeit sieht es aber so aus, als sei es "dem Kontinent" gleichgültig. Das Ende der EU, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, könnte fast widerstandslos kommen. (Thomas Mayer, 31.5.2016)