Die Gaming-Welt ist im Virtual-Reality-Fieber. Streift man durch die Hallen der diesjährigen Computex, einer Messe, die traditionell oft einen Einblick in Entwicklungen kommender Jahre erlaubt, so hat praktisch jeder namhafte Hersteller in diesem Bereich VR-Lösungen am Start. Zahlreiche als VR-tauglich beworbene Desktoprechner und Laptops sind zu sehen, kleinere Firmen wiederum bieten Smartphone-Halterungen und Bluetooth-Controller an.

Neben all diesen beinahe schon konventionell wirkenden Lösungen für Publikum zwischen neugierigen Einsteigern, Casual Gamern und Spiele-Enthusiasten gibt es aber auch das eine oder andere Experiment zu sehen. Gleich mehrere Hersteller haben sich der Idee verschrieben, das Desktop-VR-Erlebnis von seinem "Kabelproblem" zu befreien. Denn selbst Lösungen wie HTC Vive, die den Spieler im Raum herumspazieren lassen, leiden an ihrer physischen Anbindung an stationäre Computer. Das soll sich ändern.

Der PC am Rücken für VR-Wandersleute

Freilich: Bis VR-Brillen über einen Akku von akzeptablem Gewicht verfügen und drahtlose Protokolle eine zuverlässige Übertragung von VR-Bildern in geringer Latenz und hoher Wiedergaberate ermöglichen, werden noch einige Jahre ins Land ziehen. HP (Omen X) und MSI gehen daher einen anderen Weg. Und auch bei Zotac war eine verdächtig ähnliche Konstruktion am Messestand zu sehen. Wenn man das Kabel schon nicht los wird, macht man eben den PC tragbar und baut ihn in einen Rucksack. Ein Erlebnis, das zwar technisch gesehen nicht "drahtlos" ist, sich aber so anfühlen soll.

MSI hat seinen vorerst nur "Backpack PC" getauften Prototypen in Taipeh ausgestellt und Testrunden ermöglicht. Als VR-Jünger konnte, bzw. wollte ich der Versuchung gar nicht widerstehen. Und ließ mich auf ein Erlebnis ein, das durchaus Potenzial besitzt – auch wenn es vorerst wohl noch wenig Wohnzimmer-Potenzial hat.

Ein Journalistenkollege dreht eine Proberunde mit dem Backpack PC.
Foto: derStandard.at/Pichler

Bekannte Optik, leichter Rechner

Der Rechner kommt in einem rot-schwarzen Gehäuse daher, eine "Ferrari"-Farbkombination, die bei Gaming-Hardware (oder zumindest ihren Herstellern) hohe Beliebtheit genießt. Soweit ersichtlich, verfügt er über vier USB 3.0-Ports, einen HDMI-Ausgang und eine Audioklinke. Zwischen der Rückenplatte, mit der das Gerät nach dem anliegen abgestützt wird, und dem Rest ist etwas Abstand, was wohl all zu großer Wärmeübertragung entgegenwirken soll. Warme Luft soll aber ohnehin über die Seiten entweichen, wo das Gehäuse entsprechend als Gitter ausgestaltet ist.

Angegeben wird das Gewicht mit rund fünf Kilogramm. In der Tat trägt sich der Backpack PC am Rücken sehr leicht. Über die Testzeit von zehn Minuten gab es weder ein Problem mit rückseitiger Wärmeentwicklung, noch durch das Gewicht. Auch auf längere Sicht – etwa eine einstündige Session – dürfte das Gerät nicht zu schwer werden. Problematisch, auch aufgrund der erhöhten Temperaturen in der Messehalle, war allerdings die Wärmeentwicklung unter der VR-Brille selber. MSI demonstriert den Rucksack-Computer mit HTCs Vive.

Auch wenn aufgrund des veranstaltungsbedingten Umgebungslärms keine präzise Einschätzung möglich ist, war der Rechner mit aufgesetzten Kopfhörern nicht zu hören. Das Treiben auf der Computex hingegen war durchaus wahrnehmbar.

Die Anschlüsse des Backpack PC.
Foto: derStandard.at/Pichler

Implikationen

Dass die Brille hier nicht mit einem Standrechner verbunden ist, macht aus einem bereits tollen VR-Erlebnis ein großartiges. Denn es gibt schlicht keinen Widerstand durch ein in der Luft hängendes oder am Boden liegendes Kabel. Man kann sich somit auch problemlos im Kreis drehen, was beim Testspiel (Drohnen abschießen im Vive-Labs-Programm) sehr praktisch war.

Es geht auch nicht nur um Trage- und Spielkomfort, sondern auch um die Reichweite des Spielers. Statt sich im knappen Umkreis des Computers aufhalten zu müssen, wird die Grenze hier von der Reichweite der Vive-Basisstation definiert. Und diese beherrscht Positionserkennung auf einer Fläche von etwa 4,5 x 4,5 Meter.

Bis zu fünf Stunden Laufzeit

Um das VR-Abenteuer in dieser Form überhaupt möglich zu machen, verfügt der MSI-Rechner über einen integrierten Akku. Dieser erlaubt momentan laut Unternehmensangaben 1,5 Stunden Spielzeit bei starker Beanspruchung und bis zu fünf bei weniger hardwarehungrigen Ausflügen in virtuelle Welten. Die finale Ausgabe, mit deren Release man aktuell im zweiten Halbjahr rechnet, soll diese Werte noch steigern.

Teurer Spaß

Für Spieler, die in ihren eigenen vier Wänden entsprechenden Platz schaffen können, klingt das natürlich verlockend. Preislich bleibt der Rucksack-Gamingrig allerdings wohl außer Reichweite für das durchschnittliche Gamerbudget. Offizielle Angaben gibt es noch nicht, ein MSI-Mitarbeiter spekulierte allerdings, dass es zumindest bei der ersten Version durchaus in den Bereich von 3.000 Dollar bzw. Euro oder mehr gehen könnte.

Es verwundert daher nicht, dass der taiwanische Hersteller, der in voller Namensschreibung "Micro-Star International" heißt, seine Kreation erst einmal in den geschäftlichen Markt bringen will. Dabei geht es einerseits um professionelle VR-Anwendung, etwa in grafischen Berufsfeldern und andererseits um den Entertainment-Bereich. Entertainment-Cafes oder Einrichtungen wie das Wiener "Vrei" könnten ihren Besuchern etwa ein VR-Erlebnis mit "Kabellos-Gefühl" entgeltlich anbieten.

"Rucksackgaming" sieht gewöhnungsbedürftig aus, macht aber Spaß.
Foto: derStandard.at/Pichler

Archaischer Workaround

Wie zuvor schon erwähnt, werden VR-Brillen irgendwann tatsächlich ohne physischer Anbindung mit einem Rechner operieren oder die erforderliche Hardware gleich selbst integrieren (im Mobile-Bereich könnte es ja bald soweit sein). Bis dahin erscheint der tragbare Rechner jedoch ein grundsätzlich brauchbarer, wenn auch archaischer Workaround für die "Kabelfrage" zu sein. (Georg Pichler aus Taipeh, 31.5.2016)