Jan Velterop sieht das Peer-Review-System kritisch: "Ich bin gegen anonyme Kommentare."

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STANDARD: Sie sind als einer der Pioniere der Open-Access-Bewegung bekannt ...

Velterop: Soweit ich weiß, war ich sogar der Erste, der diesen Begriff verwendet hat – das war 2001. Ein Screenshot einer Webpage belegt, dass ich den Begriff als Erster im wissenschaftlichen Kontext verwendet habe – noch vor der Budapest Open Access Initiative.

STANDARD: Warum ist Ihnen Open Access ein so großes Anliegen?

Velterop: Das Ziel muss sein, Wissen zu verbreiten – so weit wie möglich. Dazu haben sich in den letzten Jahrhunderten Verlage entwickelt. Diese waren eine Zeitlang sehr hilfreich, doch als das Internet aufkam, vereinfachte das die Vernetzung sehr. Das alte Journal-System ist nun nicht mehr das passendste. Die ursprüngliche Idee des WWW war es schließlich, wissenschaftliche Erkenntnisse praktikabler, breiter und schneller zu verbreiten. Heute ist Open Access der natürlichste Weg, Wissen zu verbreiten. Alles andere davor war ein Kompromiss aufgrund der mangelnden Möglichkeiten.

STANDARD: Die Wissenschaftsverlage sehen das anders, sie sind der Meinung, dass es die großen Journals immer noch braucht – wie denken Sie darüber?

Velterop: Journals haben mittlerweile eine Position eingenommen, bei der es nicht mehr primär um die Verbreitung von Wissen geht, sondern darum, Wissenschafter zu bewerten. Wenn man eine Publikation in Nature oder Science hat, ist das wie eine Auszeichnung oder ein Orden. Es ist sehr wichtig für die Karriere der Forscher geworden, sie brauchen das, um an Forschungsgelder zu kommen. Die ursprüngliche Aufgabe der Journals, Wissen zu verbreiten, ist dabei in den Hintergrund gerückt.

STANDARD: Da die Wissenschafter auf Publikationen in renommierten Journals angewiesen sind, wird man sie schwer überzeugen können, in Open Access zu publizieren ...

Velterop: Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, und bin zu der Conclusio gekommen, dass das Publizieren in Journals möglicherweise notwendig ist, aber es eine ganz andere Angelegenheit als die Verbreitung von Wissen ist. Mein Vorschlag ist, dass jeder Wissenschafter seine Arbeiten auf einem Preprint-Server hochlädt. Ein Beispiel dafür ist arXiv, wo vor allem sehr viele Physiker ihre Papers online stellen. Und getrennt von dieser Open-Access-Publikation kann es eine Journal-Publikation geben: Papers, die Wissenschaftern besonders wichtig erscheinen, können sie dann zusätzlich bei Journals einreichen.

STANDARD: Besteht dann nicht die Gefahr, dass viele falsche Ergebnisse im Netz kursieren, weil die Papers nicht begutachtet werden?

Velterop: Nein, denn wenn man sich ansieht, welche Änderungen im Peer-Review-Prozess vorgenommen werden, stellt man fest, dass diese oft nur kosmetisch sind. Außerdem findet man bei allen wichtigen Journals auch Papers mit großen Fehlern. Preprint-Server bieten die Möglichkeit, eine neue Version des Papers hochzuladen. Das Problem, dass zu viel Mist im Netz kursiert, besteht eher jetzt, denn die meisten Menschen haben keinen Zugang zu den wissenschaftlichen Publikationen, und so treibt man sie zum Junk. Wenn die Leute Zugang zu den Preprints bekämen, hätten sie viel zuverlässigere Quellen. Das kann vor allem in der medizinischen Forschung wichtig sein. Ich finde, es ist eine furchtbare Situation, dass viele Menschen nicht das Geld haben, um sich den Zugang zu medizinischen Erkenntnissen leisten zu können.

STANDARD: In der medizinischen Forschung besteht zudem das Problem, dass negative Resultate oft nicht publiziert werden – könnte sich das verbessern, wenn es Usus wäre, alle Papers online zu stellen?

Velterop: Ja. Mein Eindruck ist, dass Forscher nicht gerne negative Ergebnisse publizieren, weil diese kaum zitiert werden, sie können damit ihr Prestige nicht steigern. Wenn die Forscher aber diese Papers auf Preprint-Server stellen, haben sie damit kaum Aufwand, und dem Wissenschaftssystem entstehen kaum Kosten: Die Kosten für eine ArXiv-Publikation liegen bei sechs Euro. Klinische Tests werden oft nicht publiziert, weil die Resultate manchmal nicht so positiv sind, wie manche gerne gehabt hätten. Das nicht zu publizieren ist meiner Ansicht nach gefährlich. Ich bin sogar der Meinung, dass negative Resultate noch wichtiger sind als positive. Denn man will wissen, wenn ein Medikament wirkt. Aber noch mehr will man wissen, wenn es nicht wirkt.

STANDARD: Ihr Vorschlag würde eine große Wende im Wissenschaftsbetrieb bedeuten – kann das auf freiwilliger Basis geschehen, oder müssen die Wissenschafter dazu gezwungen werden?

Velterop: Die Wissenschafter müssen wohl etwas angestoßen werden. In der Physik ist es jetzt schon normal, Paper auf Preprint-Server zu laden. Und es scheint ihnen nicht zu schaden – ganz im Gegenteil. Ich denke, wenn die besten Wissenschafter das tun würden, würden die jüngeren nachziehen.

STANDARD: Sollte man Forschern also verbieten, Arbeiten an Journals wie "Nature" oder "Science" zu schicken, die sich sowohl das Publizieren wie auch den Zugang zu den Papers gut bezahlen lassen?

Velterop: Nein, wenn Wissenschafter weiterhin bei diesen Journals einreichen wollen, sollte man sie lassen. Sie sollen aber zeitgleich ihre Arbeiten auch frei zugänglich machen. Es stimmt, dass die Wissenschaftsverlage sehr viel Geld machen, aber wenn sie das auf der Basis freiwilliger Einreichungen machen und das Wissen nicht hinter eine Paywall gestellt wird, dann ist mir das recht. Nur auf die Verlage hinzuzeigen und zu sagen, dass sie alles falsch machen, das funktioniert nicht.

STANDARD: Zuletzt haben einige Universitäten Deals mit Wissenschaftsverlagen geschlossen, die es den Forschern ermöglichen, ihre Arbeiten in Open Access zu publizieren – was halten Sie davon?

Velterop: Ich denke, das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl es möglicherweise etwas kostspielig ist. Und der wirkliche Durchbruch ist eher dadurch zu erwarten, dass Forscher ihre Arbeiten auf Preprint-Server hochladen.

STANDARD: Sie kritisieren auch das Peer-Review-Verfahren, in dem Gutachter Arbeiten ihrer Kollegen bewerten – was stört Sie daran?

Velterop: Vom Peer-Review-Verfahren, wie es jetzt gemacht wird, halte ich nicht viel: Es gibt zwei oder – wenn man Glück hat – drei anonyme Gutachter, die – wenn man Glück hat – Experten sind. Ich klinge jetzt zynisch, aber das System ist nicht gut. Zwei Gutachter sind zu wenig, außerdem gibt es so viele Journals, und nur die wenigsten haben gute Gutachter. Generell gilt: In der Wissenschaft ist sehr wenig für einen längeren Zeitraum wahr. Vieles ist wahr für den Moment – bis man ein bisschen mehr verstanden hat. Die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse zeigt sich erst langfristig – deswegen werden Nobelpreise oft erst zwanzig Jahre später vergeben.

STANDARD: Welchen Begutachtungsprozess schlagen Sie vor?

Velterop: Ich würde bevorzugen, wenn der Peer-Review-Prozess offen wäre, wenn man weiß, wer die Gutachter sind, warum sie etwas sagen. Auf Preprint-Servern frei zugängliche Papers könnten offen kommentiert und kritisiert werden. Ich bin gegen anonyme Kommentare. In der offenen Atmosphäre der Wissenschaft sollte es möglich sein, mit echtem Namen zu kommentieren. Sonst sammelt sich dort – wie man es oft in Onlinemedien sieht – der größte Mist. Es passiert viel schneller, dass Leute verletzend werden, wenn sie nicht unter dem eigenen Namen zu erkennen sind. (Tanja Traxler, 3.6.2016)