Tayyip Erdogan hätte sich für seine Triumph-Show anlässlich der Eroberung von Konstantinopel vor 563 (!) Jahren die lächerliche Filmkulisse der Stadtmauern aus Gips und Leinwand sparen können. Die echten, gewaltigen Mauern stehen nämlich noch und wurden vor einigen Jahren teilweise renoviert; man kann sie auf dem Weg vom Flughafen ins heutige Istanbul sehen.

Aber der türkische Autokrat liebt kindische Spektakel, und vor allem solche, bei denen er anderen Leuten die scheinbare Überlegenheit des "Türkentums" unter die Nase reiben kann. Welcher andere moderne Staatsmann, der Teil der internationalen, der europäischen Gemeinschaft sein will, käme auf die Idee, die Eroberung und Zerstörung einer großen Kultur im Spätmittelalter zu feiern?

Die Eroberung von Konstantinopel durch Mehmet II. war eine grausame Sache, wie es die meisten Kriege waren und sind. Daraus heute ein triumphalistisches Brustgetrommel zu machen lässt mehr als beunruhigende Rückschlüsse auf Erdogans Rationalität zu. In Wahrheit ist längst klar, dass der türkische Herrscher nicht "nach Europa" will, weder formal noch geistig. Wie man einer blutigen Vergangenheit gedenkt, haben fast zeitgleich Angela Merkel und François Hollande in Verdun vorgemacht. Aber Erdogan scheint unablässig irgendwem etwas beweisen zu wollen und hat damit sein Land in eine Sackgasse geführt – komplett mit Bürgerkrieg. (Hans Rauscher, 30.5.2016)