Wien – Programmpapier ist geduldig. Zur Kennzeichnung seiner Performance Unsere Gewalt und eure Gewalt ist sich der bosnische Regisseur Oliver Frljic sicherheitshalber gleich selbst Rede und Antwort gestanden. Aktuell amtiert Frljic als Intendant des Kroatischen Nationaltheaters in Rijeka. Auf dem Programmzettel bemüht er Peter Weiss (Die Ästhetik des Widerstands) und Michel Foucault, um sich und den Wiener Festwochen-Besuchern etwas über den "Faschismus in uns allen" zu erzählen.

Ob der Faschismus tatsächlich in uns ist, wo er laut Frljic doch angeblich regelmäßig von der Arbeiterklasse Besitz ergreift, lässt sich nach Genuss dieser ärgerlichen Theaterarbeit im Wiener Schauspielhaus nicht eindeutig sagen. Immerhin weiß man jetzt, was alles in einer kroatischen Schauspielerin stecken kann. Eine einzig mit einem Hidschab bekleidete Muslima zieht aus ihrer Vagina eine österreichische Fahne. Das Staatssymbol wird an ein Trapez gehängt, um in Höhe des Schnürbodens auszulüften. So viel Sorgfalt im Umgang mit Staatssymbolen macht Mut im Kampf mit dem Faschismus. Der steckt vielleicht auch viel tiefer in uns drin, als es uns das kroatische Staatstheater weismachen will.

Eine Unhöflichkeit des "choreografischen" Theaters besteht darin, die Zuschauer für dümmer zu verkaufen, als es unter Androhung protofaschistischer Verhältnisse ratsam erscheint. Unsere Gewalt und eure Gewalt (im Original: Nase nasilje i vase nasilje) entfaltet während viel zu langen 75 Minuten den unangenehmen Geruch von Schulkabarett. Vor einer Wand aus 95 Benzinkanistern produziert sich eine Schar von neun multikulturellen Besserwissern, die den (vermeintlichen) Kampf Orient versus Okzident mutwillig ausschlachtet.

Böser Hohn

Zu Stille Nacht, heilige Nacht verwischen die nackten Akteure arabische Schriftzeichen auf ihren Leibern. Der Schrecken von Guantánamo wird mit dem Messer an den Kehlen nachgestellt, der Terroropfer von Brüssel und Paris gedenkt man höhnisch, um ihre Ermordung gegen die Toten im Mittleren Osten auszuspielen. Antikapitalismus mag ein Gebot der Stunde sein. Hier geht das Anliegen vor die Hunde.

Und so blickt man dumpf sinnend auf einen Ersatz-Jesus mit Dornenkrone. Er steigt vom Kanisterkreuz herab, um sich an der Muslima a tergo zu vergehen, die dem Peiniger sein Tun mit viel Zärtlichkeit vergilt.

Zu diesem Zeitpunkt hat man bereits eine hässliche Szene mit einem Schweinskopf gesehen. Dieser wird einem schlotternden syrischen Flüchtling zum Verzehr aufgedrängt. Antifaschismus ist Blutwurst! Würde man dem alten, linksradikalen Schockkünstler Johann Kresnik mit einem solchen Quatsch kommen, er lachte hellauf. So müssen die Wiener Festwochen 2016 eine idiotische Performance verkraften.

Festivals sind geduldig. Engelsgeduld darf jetzt auch das Berliner HAU Hebbel am Ufer beweisen, das diese Produktion im Rahmen eines von der deutschen Kulturstiftung anberaumten Peter-Weiss-Festivals herzeigen muss. (Ronald Pohl, 30.5.2016)