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Eine geplünderte Wohnung einer christlichen Familie.

Foto: REUTERS/Ahmed Aboulenein

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Die St. Markos-Kirche in Minya.

Foto: AP Photo/Roger Anis

Die Täter müssten verhaftet und für ihre Verbrechen bestraft werden, um eine Warnung für andere abzugeben – mit deutlichen Worten sprach Bischof Macarius aus dem oberägyptischen Minya am Wochenende in einem Fernsehinterview. Das sind neue Töne von der koptischen Kirchenführung, denn normalerweise werden religiöse Konflikte in einer Versöhnungsversammlung mit lokalen Würdenträgern beigelegt.

Doch der bisher jüngste Fall ist besonders schockierend – nicht zuletzt, weil er auch alle Attribute eines Ehrenverbrechens aufweist: Nach Darstellung der Kirche hatte in einem Dorf bei Minya – rund 250 Kilometer südlich von Kairo am westlichen Ufers des Nils gelegen – ein Mob von 300 mit allen möglichen Waffen ausgerüsteten Leuten eine alte Frau aus ihrem Haus auf die Straße gezerrt, sie geschlagen, ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie durch das Dorf getrieben. Auch sieben Häuser koptischer Familien gingen in Flammen auf oder wurden ausgeraubt.

Leugnen und vertuschen

Auslöser der Gewalt war ein Gerücht gewesen, der Sohn der Christin habe ein Verhältnis mit einer muslimischen Frau im Dorf. Wie immer in solchen Fällen hatten die Behörden versucht zu leugnen und zu vertuschen. Die Familie blieb aber hart, beharrte auf einer Anzeige und machte den Fall erst recht publik.

Es ist das erste Mal in der bisher zweijährigen Regierungszeit von Präsident Abdelfattah al-Sisi, dass ein Fall von religiös motivierter Gewalt so hohe Wellen schlägt. Nur wenige Tage zuvor war ebenfalls in der Provinz Minya eine provisorische Kirche angezündet worden. Doch da folgten die üblichen Appelle zur Mäßigung.

In die Kathedrale

Sisi ist der erste Präsident Ägyptens, der sich an christlichen Festtagen persönlich in die Kathedrale in Kairo begibt. Unter den Christen ist er besonders beliebt, weil er die Islamisten von der Macht verdrängt hat. Im Fall der "Frau von Minya" sah Sisi sich genötigt, sich zu äußern: Er verlangte, die Verdächtigen zu verhaften und forderte die Behörden auf, die öffentliche Ordnung im Rahmen des Rechtsstaats wiederherzustellen.

Er betonte auch, dass solch unglückliche Ereignisse nicht der Natur der Ägypter und ihrer Traditionen entsprechen würden. Zudem versprach er, die materiellen Schäden innerhalb eines Monats beheben zu lassen – auf Staatskosten.

Recht des Stärkeren

Die Tradition, religiöse Konflikte mit Christen – sie machen zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung aus – mit Versöhnungsritualen nach Gewohnheitsrecht zu lösen, hat dazu geführt, dass sich die Konflikte nach dem immer gleichen Muster wiederholen. In diesen Versammlungen gilt das Recht der Stärkeren. Sie sind stark von der islamischen Scharia geprägt und kennen nur Geldstrafen als Kompensation – oder die Ausweisung einer Familie aus dem Dorf.

In einer Gesellschaft, deren sozialer Zusammenhalt auch auf dem Land lockerer wird, ist ihre abschreckende Wirkung beschränkt, zumal die Justiz nicht eingeschaltet wird. Dass sich dieses Gewohnheitsrecht bis heute halten konnte, hängt vor allem damit zusammen, dass der Staat in diesen Gegenden weitgehend abwesend ist. Einen juristischen Prozess zu führen wäre kostspielig, langwierig, und das Vertrauen in die Justiz ist gering. Menschenrechtsorganisationen haben dieses Gewohnheitsrecht deshalb schon lange kritisiert.

Im Fall der "Frau von Minya" wird Sisi bald zeigen müssen, ob es ihm ernst ist mit der Gleichberechtigung aller Bürger. Ein Gesetz, das die Diskriminierung der Christen beim Kirchenbau – ein Hauptgrund für religiöse Spannungen – aufhebt, soll ins Parlament kommen. Dort sind Sisis Loyalisten beherrschende Kraft. (Astrid Frefel aus Kairo, 30.5.2016)