Zehn Jahre ist es alt, aber erst seit knapp fünf Monaten ist das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz bei baulichen Maßnahmen in der Privatwirtschaft in Österreich voll anzuwenden. Gebäude, deren Errichtung vor 2006 bewilligt wurde, sollten nun also barrierefrei sein. Aber es gelten Ausnahmen: zum Beispiel wenn eine Adaptierung mit "unverhältnismäßigen Belastungen" verbunden wäre.

Das Gesetz sei "de facto totes Recht", sagt Volker Frey vom Klagsverband, einer NGO zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern. Bei Klagen wegen Diskriminierung ist zwar Schadenersatz möglich, es besteht aber kein Recht auf Beseitigung der Barriere. Daher mache das Ende der Übergangsfrist bisher "überhaupt keinen Unterschied" in seiner Arbeit, sagt Frey.

Bevor jemand wegen vermuteter Diskriminierung auf Schadenersatz klagen kann, läuft ein Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumservice. Es wird davon ausgegangen, dass deren Zahl zunimmt – seit 2006 wurden 1871 Fälle abgeschlossen, 44,5 Prozent davon einvernehmlich. Man wolle die Rechtssicherheit in der Behindertengleichstellung verbessern, heißt es zudem aus dem Sozialministerium. Die Revision an den Obersten Gerichtshof soll erleichtert und das Prozesskostenrisiko verringert werden.

Noch länger Zeit

Für öffentliche Gebäude gelten längere Fristen zur Herstellung der Barrierefreiheit: Die Stadt Wien gibt sich bis 2042 Zeit, mehrere Länder haben noch gar keinen Zeitplan. Der Bund ist laut Sozialministerium "gut unterwegs": 60 Prozent der betroffenen Gebäude seien adaptiert. Neubauten sollten längst barrierefrei gebaut werden, Details sind aber Ländersache. Deren jeweilige Bauordnung legt zum Beispiel fest, ab welcher Höhe ein Aufzug einzubauen ist. Barrierefrei müssen auch "sonstige Anlagen, Öffis, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung und andere Lebensbereiche" sein.

Die Regierung definierte in ihrem Programm 2013 Barrierefreiheit als "essenzielle Voraussetzung für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und ihre gesellschaftliche Teilhabe" – die Behindertenanwaltschaft vermerkt da Fortschritte. Die Regierung hat sich auch zum Ziel gesetzt, die persönliche Assistenz einheitlich zu regeln und generell Harmonisierungen der Länder zu erreichen.

Als Grundlage dient der Nationale Aktionsplan (NAP) Behinderung 2012- 2020 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) zufolge soll eine NAP-Zwischenbilanz zeigen, "dass bereits weit über die Hälfte aller Maßnahmen positiv umgesetzt werden konnten".

Großer Aufholbedarf

Die Behindertenanwaltschaft sieht in manchem noch großen Aufholbedarf. Etwa bei der Inklusion in der Bildung. Die Zahl der Schüler in Sonderschulen habe in den letzten zehn Jahren zugenommen (2014/15 waren es 14.000).

Besonderen Handlungsbedarf sieht man am Arbeitsmarkt: Während die Arbeitslosigkeit von Personen ohne Behinderungen von 2010 bis 2015 um 28 Prozent stieg, hat sich jene von Menschen mit Behinderung um 134 Prozent erhöht. Aus Stögers Büro heißt es, das Sozialressort werde den Fokus dieses Jahr besonders auf berufliche Integration legen. Im Vorjahr habe man 80.000 Förderfälle mit rund 170 Millionen Euro "gezielt unterstützt". (Gudrun Springer, 30.5.2016)