Seit Tagen gehen die Franzosen gegen die Arbeitsrechtsreform der Regierung auf die Straße. Präsident Hollande zeigt sich unnachgiebig. Die Situation ist damit völlig blockiert.

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Man muss sich die Szene vorstellen. Auf der Place de la Nation in Paris schlägt eine Demo gegen die Arbeitsreform wieder einmal in nackte Gewalt um: Vermummte liefern sich mit behelmten Bereitschaftspolizisten eine heftige Schlägerei, bei der Eisenstangen fliegen, Fensterscheiben bersten und viel Blut fließt. Auf der anderen Seite des riesigen Platzes sitzen Bistrogäste in der Sonne und nippen seelenruhig an ihrem Menthe à l'eau. Erst als die Tränengasschwaden herüberwandern, verlassen sie widerwillig die Gratisvorführung.

Ähnliches sieht man derzeit in vielen Provinzstädten, wo massenweise Mitglieder der CGT-Gewerkschaft mit Nebelhörnern durch die Straßen ziehen, Mülleimer umwerfen und Autoreifen in Brand stecken: Die Zaungäste verfolgen das Spektakel von der nächsten Café-Terrasse aus. Dieses Bild, das in den dramatischen TV-Berichten kaum je zu sehen ist, relativiert doch vieles: Es ist keineswegs so, dass "Frankreich brennt", wie man bisweilen hört.

Ritualisierter Exzess

Die Sozialproteste folgen einem festen Ritual, in dem die Exzesse eingerechnet sind. Neun "Aktionstage" hat die Gewerkschaft CGT bereits organisiert, Zehntausende von Demonstranten sind schon auf die Straße gegangen. Diesmal bestreiken sie Benzinlager, Raffinerien und sogar Atomkraftwerke. Die Treibstoff- und Stromknappheit soll die Regierung in die Knie und zum Rückzug ihrer Arbeitsreform zwingen.

Denn diese schmälert den Einfluss der Gewerkschaften durch innerbetriebliche Abstimmungen. Das ist allerdings nicht der einzige Grund, dass die CGT jeden Kompromiss ablehnt: Das einstmals kommunistische Syndikat droht bei den nächsten Betriebswahlen die Führungsposition an die gemäßigte, den Sozialisten nahestehende CFDT zu verlieren – und haut deshalb doppelt auf den Putz. Ihr Vertreter Gilles Guyomard umschreibt die Strategie hinter all den Kommandooperationen der Stromer, Docker, Fernfahrer, Fluglotsen und Eisenbahner mit einem Satz: "Dort zuschlagen, wo es wehtut."

Die "gute Reform"

François Hollande entgegnete am Freitag beim G7-Gipfel im fernen Japan: "Ich halte an der Reform fest, weil es eine gute Reform ist." Vor allem aber bleibt er hart, um den letzten Rest seiner präsidialen Autorität zu wahren. Knickt er jetzt ein, muss er seine Wiederwahlpläne in einem Jahr endgültig begraben.

Die Situation ist damit völlig blockiert: Weder die CGT noch Hollande können nachgeben. Erstaunt verfolgen die Franzosen, wie hart und kompromisslos der Bruderkampf auf der Linken geführt wird. Bei der letzten Treibstoffblockade im Jahre 2010 – damals ging es um die Rentenreform der konservativen Regierung – hatten die CGT-Bosse gegen außen auch die Muskeln gezeigt, hintenrum aber mit Nicolas Sarkozy über einen Ausweg verhandelt. Jetzt läuft zwischen den regierenden Sozialisten und den protestierenden Kommunisten gar nichts. Schon 70 Parteilokale der Parti Socialiste wurden nachts vandalisiert, zum Teil sogar beschossen.

Umfrage: Regierung ist schuld

Die Franzosen wissen auch, dass die Reform des wirtschaftslähmenden Arbeitsrechts bitter nötig wäre. Und sie haben genug von den langen Warteschlangen vor den Tankstellen. Trotzdem machen sie nicht die Streikenden für die Lage verantwortlich, sondern die Regierung. Eine Umfragemehrheit ist auf der Seite der CGT.

Hollande behauptet mutig, es gehe mit Frankreich bergauf, denn die Arbeitslosigkeit sei schon zum zweiten Monat in Folge gesunken. "Ça va mieux", wiederholt der Präsident zweckoptimistisch – doch das klingt für viele Bürger wie Hohn: Noch sind fünf Millionen Franzosen ohne Arbeit, noch befindet sich das Land wegen der Terrordrohung im verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand. In einer Umfrage meinten 86 Prozent: "Nein, es geht nicht besser."

Mit der Fußball-Europameisterschaft, die in weniger als zwei Wochen beginnt, sollte alles anders werden. Hollande setzte frohgemut auf die "gute Laune", die ein solches Turnier verbreiten sollte – mit einem positiven Effekt für die Landeskonjunktur und seine eigenen Wiederwahlchancen. Doch jetzt sorgen sich immer mehr Franzosen um das Image ihres Landes, das ausgerechnet zum EM-Beginn im sozialen Chaos zu versinken droht. Was, wenn Hollande gerade die Spiele eröffnet – und ein CGT-Kommando den Strom kappt? Wenn eine Seite Grund hat, vor der Fußball-EM eine Lösung zu finden, dann die Regierung. Derzeit steht sie mit dem Rücken zum Tor. (Stefan Brändle aus Paris, 28.5.2016)