Der Blitz der Atombombe war bis zu einem japanischen Gefangenenlager für westliche Zivilisten in der Nähe von Schanghai zu sehen.

So berichtet zumindest der britische Autor J. G. Ballard in seinem halb autobiografischen Roman Das Reich der Sonne. In der Verfilmung von Steven Spielberg glaubt die jugendliche Hauptfigur, das Aufleuchten sei die Seele einer sterbenden britischen Mitgefangenen, die in diesem Augenblick ihren Körper verlässt.

Als die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, am 6. und 9. August 1945, beherrschte das imperiale Japan nach vier Jahren Krieg immer noch einen Großteil Ostasiens, vor allem Chinas. Auf dem Höhepunkt seiner Macht gehörten zum "Reich der Sonne" halb China, Korea, Niederländisch-Indien (Indonesien), Französisch-Indochina, Burma, Thailand, Malaysia, die Philippinen, Borneo, Celebes, halb Neuguinea, und eine große Menge Inseln im Südpazifik.

Die japanische Herrschaft basierte auf einer imperialistischen, rassistischen Herrenmenschenideologie, führte zu weitverbreiteten Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung und westliche Kolonialpersonen in den eroberten Ländern. Allein in China hatte das japanische Militär von 1937 bis Kriegsende Millionen Menschen umgebracht.

Das ist der Grund, warum Barack Obama als erster US-Präsident zwar nach Hiroshima reiste, der Opfer des ersten Atombombenabwurfs gedachte, sich aber nicht für den Einsatz der Atombombe entschuldigte.

Hiroshima und Nagasaki beendeten einen wahnhaften "Lebensraum"-Krieg, den die japanische Führung begonnen und sonst noch lange nicht beendet hätte.

Die Frage, ob der Atombombenangriff ein Kriegsverbrechen war, muss vor diesem Hintergrund diskutiert werden. Die herrschende Clique war in ihrem Samurai-Wahn entschlossen, bis zum letzten Japaner zu kämpfen. Die Landung auf den relativ kleinen Inseln Iwo Jima und Okinawa hatte wegen des fanatischen Widerstandes der Japaner enorm hohe Verluste der US-Streitkräfte gekostet. Eine Landung in Japan selbst wäre nicht ohne hunderttausende Tote abgegangen. Selbst nach dem Bombenabwurf versuchten fanatische Offiziere noch einen Putsch, um weiterkämpfen zu können.

Hiroshima war die äußerste Zuspitzung der Logik eines Aggressionskrieges. Die Annahme, dass sich in einer Welt voller Atomwaffen, in der auch extreme Staaten solche besitzen, das nie wiederholen wird, verlangt einiges an Glaubenskraft. Dazu muss man nicht nach Nordkorea blicken, es genügt ein Regime wie in Pakistan, das unter der Drohung einer "Erbfeindschaft" mit dem Atomstaat Indien und der möglichen Machtübernahme der Islamisten steht.

Obama hat in Hiroshima seinen alten Plan einer atomwaffenfreien Welt wiederholt, den er schon vor sieben Jahren erstmals präsentierte. Inzwischen wird das (geschrumpfte) atomare Arsenal der USA modernisiert.

Es ist allerdings nicht so, dass es keine Präzedenzfälle für freiwillige Aufgabe von Atomwaffen gäbe: Südafrika, knapp vor dem Ende der weißen Vorherrschaft, und alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion außer Russland. Gleichzeitig wuchs die Gefahr, dass Nuklearwaffen in die Hände von Terroristen gelangen.

Niemand weiß, ob und wie lange das Erschrecken über den Horror von Hiroshima anhält und ob das Prinzip der Abschreckung im Zeitalter religiösen Wahns noch funktioniert. (Hans Rauscher, 27.5.2016)