Ohne anerkannten Asylstatus haben Flüchtlinge keinen Anspruch auf einen staatlich finanzierten Deutschkurs und sind zum Nichtstun verdammt.

Heribert Corn

Iman und die anderen Frauen haben ihren Kurs erfolgreich abgeschlossen, sieben davon mit dem offiziellen ÖSD-Zertifikat – das kostet und muss vom Verein extra finanziert werden.

Heribert Corn

Die Frage "Wann bist du geboren?" ist eine Gelegenheit, die Zahlen zu lernen, "Wo wohnst du?" eine, die Wiener Bezirke und die österreichischen Bundesländer durchzumachen.

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Sie können sich krank- und gesund melden – und einander loben: "Du bist eine gute Frau." Und sie haben aus Tortengrafiken einiges über die österreichischen Sitten und Gebräuche gelernt.

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Heute sind diese Frauen glücklich. Sie sitzen in dem beengten Klassenzimmer, vor dem die Autos durch die Johnstraße im 15. Wiener Gemeindebezirk rauschen. Sie schweigen, deswegen hört man den Verkehrslärm so laut. Hier wird nicht geschwätzt, bevor die Lehrerin kommt. "Ich heiße Sandra", sagt die. Und: "Können wir uns duzen?" Vierzehn Gesichter blicken ihr erwartungsvoll entgegen. "Haben alle Papier und Kuli?" – "Bitte Englisch sprechen", sagt eine der Frauen, aber Sandra erklärt, dass es wichtig ist, von Anfang an nur Deutsch zu reden.

Sandra Ledersberger hat viel Erfahrung mit Deutsch als Fremdsprache (DAF). Seit Jahren unterrichtet sie am UKI, dem Unterstützungskomitee zur Integration von MigrantInnen, das es bereits seit 1993 gibt. Das Besondere daran: Es wurde von engagierten Migranten, hauptsächlich politisch verfolgten Flüchtlingen aus dem Iran, selbst gegründet. Das UKI setzt sich für die Gleichstellung von in- und ausländischen Arbeitskräften ein, Ziel ist ein "harmonisches Miteinander". Deswegen können am UKI Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zum Beispiel ihren Pflichtschulabschluss nachholen, daneben werden Intensivdeutschkurse angeboten, die sich auch an jene richten, die in Österreich noch keinen anerkannten Asylstatus haben.

Nachfrage übersteigt Angebot

Die Nachfrage war schon in den vergangenen Jahren groß, jetzt ist sie explodiert. "360 Menschen haben sich für zweimal 15 Plätze, die wir im Frühjahr anbieten konnten, beworben. Die sind hier das Treppenhaus hinaus bis um den Block angestanden, drei Stunden und mehr. Ich zeige Ihnen die Fotos", sagt Manocher Shahabi, der seit 2009 Geschäftsführer von UKI ist. "Wir finanzieren uns seit Jahren großteils über private Spenden, neuerdings auch über Crowdfunding. Wir tun, was wir können, aber die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem." Das Problem: Ohne anerkannten Asylstatus hätten die Flüchtlinge keinen Anspruch auf einen staatlich finanzierten Deutschkurs und seien zu monatelangem, wenn nicht gar jahrelangem Nichtstun verdammt.

"Die warten zwei, drei, vier Jahre auf ihren Bescheid", erklärt Shahabi, "das lange Warten macht sie verzweifelt – und nicht intelligenter. Wenn die frisch da sind, sind sie hochmotiviert, die wollen etwas Neues lernen. Später sind die Kosten für Integrationsmaßnahmen viel höher, auch was die Traumatisierungen betrifft." Ja, es gebe seit dem Herbst viele private Initiativen, tausende Ehrenamtliche, die in Flüchtlingsunterkünften, in Schulgebäuden, Vereinen oder schlicht auf der Wiese wie im Sommer in Traiskirchen, privat organisiert, mehr oder weniger improvisiert Deutschunterricht anbieten. Auch die Stadt Wien öffnete im Herbst ihre Sprachangebote für Asylwerber – aber es könne doch nicht sein, dass die Zivilgesellschaft die Aufgaben des Staates auf Dauer übernehmen muss. "Man kann wirklich nicht von Unwilligkeit sprechen", sagt Shahabi, "die allermeisten wollen lernen."

Keine gemeinsame Sprache

"Können alle das lateinische Alphabet?", fragt Sandra. Alle Frauen bis auf eine nicken überzeugt. Das war eine der Voraussetzungen für die Aufnahme in diesen zweimonatigen Gratis-Basis-Intensivkurs, vier Tage in der Woche von 9.30 bis 12.30 Uhr. Die Frauen sind am Vormittag dran, damit sie am Nachmittag ihre Kinder versorgen können, die – im besten Fall – in Wien einen Schulplatz haben und schon besser Deutsch sprechen als ihre Eltern. Am Nachmittag wird der gleiche Kurs noch einmal für Männer angeboten.

"Woher kommst du?", ist die nächste Frage, die Sandra stellt. Vier Frauen kommen aus Syrien, zwei aus dem Irak, drei aus Tschetschenien, eine aus dem Iran, drei aus Afghanistan, eine aus Uganda und eine aus Moldawien. Sie haben noch keine gemeinsame Sprache, sind unterschiedlich alt, unterschiedlich gebildet und haben Kinder oder keine. Manche von ihnen tragen Kopftuch, manche nicht. Die selbstbewusste Farnaz war im iranischen Nationalteam für Inlineskating, trägt Top und Leggings, während andere Kursteilnehmerinnen von ihren Ehemännern in den Kurs gebracht und wieder abgeholt werden. Die Frage "Wann bist du geboren?" ist eine Gelegenheit, die Zahlen zu lernen, "Wo wohnst du?" eine, die Wiener Bezirke und die österreichischen Bundesländer durchzumachen. Auf einer Weltkarte, die im Klassenzimmer hängt, zeigen alle Frauen, wo sie herkommen. Iman ist aus Syrien. Sie ist 1973 geboren und hat drei Kinder, zwei Töchter, 18 und 17 Jahre alt, und einen Sohn, der ist 15. Die beiden Jüngeren gehen in Wien ins Gymnasium, die Älteste macht eine Abendschule.

Tomaten heißen Paradeiser

Iman ist gelernte Apothekerin, aber sie kann auch gut kochen, sagt sie. In Wien in einem Restaurant oder einer Bäckerei zu arbeiten, das wäre schon etwas. Sie ist seit fünf Monaten in Österreich. "Ich habe schon im Camp etwas Deutsch gelernt", erklärt sie, "als einzige Frau in einer Gruppe mit acht Männern. Der Chef vom Camp hat die Schulplätze für die Kinder gefunden." Sie bekommt 40 Euro im Monat. Sechs Monatskarten für die Öffis werden unter allen Bewohnern des Quartiers in der Leyserstraße geteilt: Wer Deutschkurs hat, verwendet sie.

Als ich den Kurs nach drei Wochen wieder besuche, spielt Iman mit Mastula aus Uganda ein Rollenspiel in einem fiktiven Obstgeschäft, um das freie Sprechen zu üben. Mastula ist die Verkäuferin, Iman die Kundin. Sie ist ausgesucht höflich und sagt "Ich möchte", "Ich brauche bitte, "Ich hätte gerne". Sie kauft ein Kilogramm Tomaten und lernt, dass die in Wien Paradeiser heißen.

Täglich Hausübungen

Neben Mappe und Vokabelheft haben die Frauen inzwischen ein kostenloses Unterrichts- und Arbeitsbuch bekommen. Sie machen täglich schriftliche Hausübungen, schreiben regelmäßig Tests und müssen viel Grammatik lernen: Singular und Plural, die Wortarten und komplizierte Dinge wie regelmäßige und unregelmäßige Verben. Auch die Zwielaute bereiten Probleme: Im Hocharabischen existieren nur drei Vokale, a, i und u, deswegen machen ihnen Wörter wie "heute" und "Leute" Schwierigkeiten. Es wird aber auch viel gelacht. Die Frauen sind spürbar aufgetaut. Der Umstand, dass man "Servus" zur Begrüßung und Verabschiedung sagen kann, führt zur allgemeinen Verwirrung. "Warum sagt man Guten Abend auch, wenn man ankommt, aber Gute Nacht nur, wenn man geht?", fragt Iman. Langsam rutschen auch private Themen in den Unterricht. "Eine Aufgabe war zum Beispiel, einen Text über sich selbst zu schreiben", erzählt Sandra Ledersberger. "Was man da zu sehen kriegt, macht schon betroffen."

Eine der Frauen kommt sehr knapp in den Kurs, weil sie davor bei Hemayat, dem Verein zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden, in Therapie ist. Eine andere ist seit Jahren von ihren Kindern getrennt, eine dritte seit acht Jahren in Österreich und hat sieben davon auf ihren Bescheid gewartet. "Bei all den Schicksalsschlägen, die diese Frauen mitbringen", sagt Ledersberger, "sie sind in der Sache konzentriert, und sie jammern nicht, auch wenn sie müde sind."

Ich bin ledig, und das ist super

Auch interkulturelle Differenzen werden humorvoll ausgetragen: "Ich bin ledig, und das ist super", sagt die 29-jährige Mastula, die drei Kinder hat. Die 32-jährige Lamia aus Damaskus ist geschieden und hat keine Kinder. Sie ist gelernte Buchhalterin und möchte als Sekretärin arbeiten. Ghalias Mann ist schon seit einem Jahr und sechs Monaten in Österreich, sie selbst und die drei Kinder seit drei. Die Kinder haben bereits Schul- und Kindergartenplätze, sie selbst ist Informatiklehrerin. Das Wort "Nostrifizierung" versteht sie noch nicht. Auch vom AMS hat sie noch nie etwas gehört.

Das soll sich jetzt ändern. Mitte April haben Sozialstadträtin Sonja Wehsely und Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (beide SPÖ) das "Start Wien"-Programm vorgestellt, das "Integrationsmaßnahmen ab dem ersten Tag", also "Orientierung, Sprache und Qualifikation", verspricht. Konkret sollen Asylwerber, zurzeit sind es rund 21.000 in Wien, nach der Zulassung zum Asylverfahren zu einem Erstgespräch eingeladen werden, bei dem eine "Bildungscard" erstellt wird. Danach soll die Einladung zu muttersprachlichen "Start Wien"-Infomodulen erfolgen, die erste Orientierung zu Bildung, Gesundheit, Wohnen und Sozialem bieten.

Neuer Standort

Die neue "Bildungsdrehscheibe" der Grundversorgung Wien bei den Volkshochschulen soll "Bildungsberatung, Sprach- und Kompetenzclearing" und die Zuweisung zu Deutschkursen übernehmen. Dafür schaffen die Volkshochschulen extra einen neuen Standort, der im Sommer in Vollbetrieb gehen soll. "Schon bisher bot die VHS Wien jährlich rund 1.000 Deutschkurse mit insgesamt 15.000 Plätzen an", sagt deren Mediensprecherin Daniela Lehenbauer. "Ein regulärer Deutschkursplatz kostet bei uns 378 Euro pro Person für 90 Unterrichtseinheiten." Es gab auch schon bisher soziale Staffelungen und Ermäßigungen bis auf Kosten von nur einem Euro pro Kurseinheit, Bedingung dafür war aber bisher ein gültiger Aufenthaltsstatus.

Das soll die neue Bildungsdrehscheibe ändern. Schon während des Asylverfahrens – und das ist die entscheidende Verbesserung – soll es Bewerbungscoachings, Unterstützung bei der Anerkennung von Qualifikationen und Gratisdeutschkurse geben. Der persönliche Ausbildungsstand des Asylwerbers soll in einer Datenbank erfasst werden. Gibt es einen positiven Asylbescheid, werden die Daten an das AMS weitergegeben, so gehen nicht alle Informationen an dieser wichtigen Schnittstelle verloren. "Bisher gab es da einen Bruch, weil alles weg war, was bis zum positiven Asylbescheid schon erfasst worden war", erklärt Stefanie Grubich aus dem Büro von Stadträtin Frauenberger. "Die technische Lösung dafür haben wir noch nicht, aber es wird daran gearbeitet."

Monatskarte als Anreiz

Als Anreiz für Asylwerber, die Angebote in Anspruch zu nehmen, soll es eine Monatskarte der Wiener Linien um vier Euro geben (regulär 48,20 Euro). Das sind zehn Prozent des Betrags, der Asylwerberinnen wie Iman monatlich zur Verfügung steht. Die vergünstigte Monatskarte ist an die regelmäßige Kursteilnahme gekoppelt. Über die Kostenteilung verhandelt die Stadt gerade mit dem Bund, es gibt noch keine Einigung. Im Gegenteil: Die verbilligten VOR-Tickets für Flüchtlinge wurden Ende April "wegen der großen Nachfrage" eingestellt.

Im besten Fall übernehmen die "Start Wien"-Infomodule jene Aufgaben, die Vereine wie UKI bis jetzt mitgetragen haben. "Sind sie versichert? Wie kommen sie in unseren Deutschkurs? Haben sie einen Fahrschein? Sind ihre Kinder versorgt? Warum bekommen sie selbst nach Monaten das Taschengeld von 40 Euro noch immer nicht? Um all das kümmern wir uns derzeit", erklärt Shahabi.

Öffnung für Flüchtlinge

Bis Jahresende soll jeder Flüchtling in Wien über eine Bildungscard verfügen. Allein für die Deutschkurse in Wien sind 25 Millionen Euro veranschlagt. Die Kosten sollen Bund und Land gemeinsam tragen. "Wichtig dabei ist uns eine große Zielgruppengenauigkeit", sagt Grubich. "Es wird ab Herbst zum Beispiel ein spezielles Jugendcollege geben, das mit 1.000 Plätzen startet. Und auch ein Männercollege eigens für solche, die erst alphabetisiert werden müssen."

"Jede Öffnung der Bildungsangebote für Flüchtlinge ist zu begrüßen", sagt Manocher Shahabi zu den neuen Entwicklungen. Die Frage bleibe natürlich, ob alles, was da angekündigt wurde, auch umgesetzt wird. "Und es ist natürlich eine Frage der Kapazitäten", ergänzt er. "Gibt es genügend Lehrpersonal?" Gezielte Maßnahmen wie das geplante Männercollege zur Alphabetisierung findet er sinnvoll. "Das können wir hier nicht auch noch leisten." Die fünf bis sechs Gratisdeutschkurse bei UKI richten sich vorzugsweise an Personen, die zumindest schon einen Schulabschluss haben und "wissen, was es bedeutet, eine Fremdsprache zu lernen". Zwei Monate dauernde Deutsch-Intensivkurse kosten den Verein rund 5.000 Euro (4.400 Euro Trainerkosten, 450 Euro für Lehrmaterial für maximal 15 Personen).

"Warum tanzen die Österreicher so wenig?"

Iman und die anderen Frauen haben ihren Kurs inzwischen erfolgreich abgeschlossen, sieben davon mit dem offiziellen ÖSD-Zertifikat – denn das kostet extra und muss vom Verein finanziert werden. Sie haben in rund zwei Monaten die Hälfte der Stufe A1 (Grundstufe Deutsch) geschafft, das heißt, sie können ein Formular ausfüllen, wissen, dass drei Monatsmieten Kaution für einen Mietvertrag fällig werden, können zwischen "Sahne" und "Schlagobers" unterscheiden und über das Wetter plaudern. Sie können den Akkusativ vom Dativ unterscheiden und die Öffnungszeiten von Ämtern korrekt angeben. Sie können sich krank- und gesund melden – und einander loben: "Du bist eine gute Frau", sagt Mastula zu Iman. Sie haben aus Tortengrafiken einiges über die österreichischen Gebräuche gelernt: "Was, nur zwölf Prozent? Warum tanzen die Österreicher so wenig?" Manche der Aufgaben in dem Deutschbuch muten fast zynisch an. Unter Freizeitbetätigungen: "Der Mann schwimmt im Meer." Und: "Was machst du in deiner Freizeit?" "Ich helfe meinen Kindern", sagt Iman. "Ich schreibe ein Gedicht", antwortet Lamia. Den Plural finden inzwischen alle "babyleicht". (Tanja Paar, ALBUM, 28.5.2016)